KW39
435’000 Ränge Richtung Ruhm

Amazon ist nicht alles und Denis Schecks Umarmungen können auch nicht alles verhindern. Auf dem Weg zu diesem #truism fallen indes einige Randnotizen an. Den Geschicken, Scharmützeln und vornehmlich laienkritischen Wortgefechten, denen sich unsere kleine Shortlisttruppe auf ihrem Weg durch Netz und Markt ausgesetzt sieht, folgt die Kolumne IM FELD, embedded journalism at its rest, in loser Folge vom heimischen Sofa aus. Die erste und einzige Diskursregel lautet dabei: Wer hier zu Wort kommt, wird nicht bezahlt, sondern zahlt als Kunde erst noch drauf – und gelegentlich in kritischer Münze zurück. Diesen Voten jenseits des Literaturbetriebs, aber auch der poetischen Gerechtigkeit der Verkaufsränge, Statistiken und Charts verschaffen wir IM FELD Gehör.
Werfen wir als gute Patrioten zunächst einen Blick auf das Schicksal unserer Kombattanten im Ausland, genauer gesagt im Amazonasgebiet. Das ja nicht wenige Menschen dieser Tage als Ersatzfeuilleton nutzen. Davon geht das Abendland nicht unter und das Schweizer Herz in Sachen Buchpreis sogar auf: Von dort nämlich nur Gutes, trotz des überraschenden Eintritts Kakaniens ins diesjährige Buchpreisgerangel. Oder hätten Sie gewusst, welche gigantischen Verkaufsrangbewegungen der Schweizer Buchpreis in den letzten Tagen auf Amazon ausgelöst hat? Vergessen wir mal kurz Novalis‘ Poststatistikvisionen und ergeben uns hemmungslos der Poesie der Zahlen. Wie klingt zum Beispiel eine schlaffe Viertelmillion, nur mal so zum Start?
255‘000 Ränge nämlich hat die Nominierung für den Schweizer Buchpreis Michelle Steinbecks Debütroman in Amazons Verkaufsstatistik in den vergangenen Tagen nach vorne gespült. Nicht schlecht für einen Walfisch, der «an Land ein Mann» war und in Amazonasgebiet bislang ein völliger Niemand. Ob sich das auf Rang 55‘432 besser anfühlt als in der vergangenen Woche, möge die Autorin jemand anders fragen.
Um immerhin 120‘000 Ränge hat die unerwartete Nominierung unseren Fremdenlegionär Christoph Höhtker mit «Alles sehen» in Richtung Bestsellerzone verschlagen. Nicht auszudenken, welche Ranking-Wunder die Nominierung einem weniger tippfehleranfälligen Autornamen beschert haben könnte. Erfolgsmeldung hier: Die fünf, sechs Hater, die Höhtkers autofiktionale Bielefeld-Aggressions-Maschine bislang im Sternen-Nirwana kleben liessen, haben ihre Negativrezensionen samt und sonders gelöscht. Peace, Professor – oder wurden da etwa für die nun schon mal sicheren 2500 Franken Trostgeld echte Player angeheuert? Ein Fall für Stremmer, uns fehlen da die Connections und auch die Cojones.
Zahlenmässig sind das, Kreml-Bots und andere Connections hin oder her, ohnehin alles Peanuts gegen den damit endlich auch im Buchjahr einfahrenden Charles Lewinsky. Der hat seit der Nominierung nicht nur elf Fast-Fünfsternerezensionen am Revers, sondern sage und schreibe 40‘000 feste Schritte in Richtung öffentlicher Wahrnehmung gemacht. Klingt läppisch im Vergleich mit den bisher Genannten, doch zumindest der Self Publishing Author weiss: Von Rang 85‘000 auf 45‘000 ist zehnmal schwieriger als von Rang 1‘100000 auf 100‘000. Ein Schritt ist eben nicht gleich ein Schritt, im Amazonasgebiet und für Bibeltreue schon gar nicht. Wer jetzt in Sachen Verkaufsstatistiken nur Bahnhof verstanden hat, müsste noch mal kurz beim letzten Link abbiegen, alle anderen stärken sich für den Schlussspurt beim auktorialen Perlhuhnrezept und denken dabei bitte nicht an den ander(s)en Braten in Lewinskys aktueller Roman-Röhre.
Und damit zum «Bestseller Nr. 1: Ungarische Geschichte». Der leider als nackte Zahl nicht mehr ganz so enthusiastisch rüberkommt: 4950. Dort steht, harrt und hadert Sacha Batthyánis Familienhistorienbefragung «Und was hat das mit mir zu tun». Ob dieses Verharren vor den Pforten des Ruhms nun an dem akzentuierten ungarischen Autornamen, der Erwähnung Maxim Billers im Klappentext, dem schamlosen Voyeurismus der von Amazon unterbreiteten Kaufalternativen («Kind, versprich mir, dass du dich erschiesst» und/als «Der letzte grosse Trost» – wie hätten Sie denn gewählt?) oder einfach am Verlagskonkurrenten Kracht liegt, weiss natürlich nur Maxim Biller. Wir hingegen registrieren einen respektablen Push von 20‘000 Rängen und kommen damit zum Final des Countdowns.
Christian Kracht, über die Tücken des Konsens‘ schon seit dem letzten Jahrtausend bestens im Bilde, kennt seit der Nominierung für den Schweizer Buchpreis nur noch eine Marschrichtung. Vor wenigen Tagen noch auf Verkaufsrang 430, fühlen sich seine «Toten» nun im soliden 200er-Bereich pudelwohl. Was dem aufmerksamen Publikum allerdings gleich doppelt zu wundern gibt, hat doch erstens Krachts Nicht-Nominierung für den Deutschen Buchpreis deutlich mehr Presseschaum aufgewirbelt als die aktenkundige helvetische Sympathiebekundung. Und findet sich zweitens der populärere der beiden Kiepenheuer-Titel auf unserer Shortlist doch dieser Tage auch auf der unbestechlichen Spiegel-Bestseller-Liste wieder: Dort zwar unter Henning Mankells «Die schwedischen Gummistiefel», von diesen aber stilgerecht plattgelatscht über Dörte Hansens «Altes Land». Und daraus lernen wir, nun aber wirklich: Amazon ist nicht alles und Denis Schecks Umarmungen können auch nicht alles verhindern.