KW08
Käse, Kuba und Kanonen

Patrick Tschans Schelmenroman «Der kubanische Käser» folgt dem Toggenburger Noldi Abderhalden durch die Wirren des Dreissigjährigen Krieges bis nach Kuba. Seine Abenteuer sind anfänglich unterhaltsam, verlieren aber über Romanlänge zunehmend an Schwung.
Europa 1620: Seit zwei Jahren hat der Dreissigjährige Krieg den Kontinent fest im Griff. Der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten spaltet die Eidgenossenschaft. Doch auch wenn der berühmte protestantische Reformator Zwingli aus dem Nachbardorf stammt – den 16-jährigen Noldi Abderhalden aus Alt St. Johann lassen die Verwerfungen seiner Zeit zunächst kalt. Sein Interesse gilt eher dem weiblichen Geschlecht als der Verteidigung des katholischen Glaubens.
Eine enttäuschte Liebe und der darüber vergossene Alkohol treiben Noldi jedoch in einer kalten Februarnacht in die Arme eines Anwerbers der spanischen Armee. Er unterschreibt einen Söldnervertrag und wird aus seiner geruhsamen Talschaft in die Wirren der weiten Welt geworfen. Tapfer kämpft er in der Lombardei, erlangt die Gunst eines Kommandanten, dem er durch das Wegfausten einer Kanonenkugel das Leben rettet, und kommt so bis an den spanischen Königshof. Schliesslich muss er aber aufgrund einer Intrige ins kubanische Exil flüchten. Was bleibt einem Toggenburger Bauernsohn dort noch zu tun? So wird aus Noldi der «kubanische Käser».
Es ist bereits der zweite Ausflug des Basler Schriftstellers Patrick Tschan in das Genre des Schelmenromans. «Polarrot», sein Roman über die Abenteuer des Betrügers Jack Breiter am Vorabend des 2. Weltkriegs, war ein schweizweiter Erfolg. Tschans neuster Schelm lebt nun also noch 300 Jahre früher, doch auch da gilt: «Es war ein hueren Puff zu dieser Zeit in dieser Ecke der Welt.»
Tschans flotter, mit Helvetismen durchsetzten Sprache geht es nicht darum, ein historisch möglichst detailgetreues Bild des Dreissigjährigen Krieges heraufzubeschwören. Das wird spätestens dann klar, wenn man bemerkt, dass sämtliche Nebenfiguren, auf die Noldi im Laufe der Geschichte trifft, ausnahmslos als «spitzbärtig» und «schwarzäugig» beschrieben werden. Dieser gelungene ironische Seitenhieb gegen den Erzählstil historischer Romane ist einer von mehreren wiederkehrenden Running Gags des Buches, die aber leider nicht alle zu überzeugen vermögen.
Zotiger, nicht immer salonfähiger Humor ist ein gängiger Bestandteil von Schelmenromanen, und auch Tschan lässt seine Figuren fluchen, dass es oft eine derbe Freude ist. Doch gerade die erotischen Komponenten des Buches wirken abgegriffen und platt. Jedes Mal, wenn Noldi mit einer Frau schläft, fängt es an zu gewittern, jeder Geschlechtsverkehr wird aufgrund eines halbgaren Traumas mit Murmeltieren assoziiert. Beides nur mässig originelle Ideen von Beginn weg, die bei jeder weiteren Wiederholung zunehmend auf die Nerven gehen.
Sobald Noldi sich seiner neuen kubanischen Heimat einquartiert hat, weichen die rasanten Szenenwechsel der ersten Hälfte des Romans einem gemächlicheren Tempo. In bester Robinson Crusoe-Manier erbaut sich Noldi Kuhstall und Käsekeller, um einen echt kubanischen «Toggenburger Grind» zu käsen. Er verliebt sich in eine Kubanerin, handelt mit den Dorfbewohnern. Dabei gewinnt er als Figur leider nur wenig Kontur: mal mutiger Bauernsohn, mal naiver Liebhaber, mal gewiefter Kapitalist, der den Kubanern seine noch nicht geborenen Kühe als «Risikokälber» verkauft – um richtig mit ihm und seinem Käse mitfiebern zu können, erweist sich Noldi oft als zu inkonsistent. So wünscht man sich als Leser*in oft zurück in die erste Hälfte des Romans, wo Tschans pure Fabulierfreude am besten zum Zuge kommt. Die Reise nach Kuba hätte Noldi sich ersparen können.
Patrick Tschan: Der kubanische Käser. 185 Seiten. Basel: Zytglogge Verlag 2019, ca. 29 Franken.