KW07

Was wir von uns erzählen

Tom Kummer

Wer sind wir und was erzählen wir anderen Menschen von uns? «Alles ausser ich» lautet der Titel des zweiten Romans von Daniel Mezger und er führt uns ein Mal quer durch Europa.

Von Salomé Meier
10. Februar 2020

Auffällig häufig befinden sich die Figuren in Daniel Mezgers Roman Alles ausser ich auf der Autobahn. Quer durch Europa führen die Fahrten, von Dänemark in die Schweiz, von der Schweiz nach Tschechien. Die Fahrten kartieren die Suche nach Identität dieser Figuren. Denn immer wieder ist es die eigene, im Dunkeln liegende Herkunft und Vergangenheit, die Anlass zur Reise gibt.

Die Geschichte beginnt irgendwo auf der Autobahn von Kiel nach Zürich. Das Schicksal ist in diesem Fall eine Mitfahrgelegenheit, Knotenpunkt die Rückbank eines schmierigen Typen und seiner osteuropäischen Affäre, auf der sich Ursina und der Erzähler kennenlernen. Ursina, Dänin, mit tschechischen Wurzeln sucht in Zürich nach ihrem biologischen Vater. Die Pointe: Ihr Vater heisst per Zufall wie der Vater des Erzählers.

Soweit also die Ausgangslage. Ein Kreuzen der Wege, eine zufällige Begegnung, eine humorvolle Pointe. Unwahrscheinlich, dass es sich bei diesem Hans Meier ausgerechnet um seinen Vater handeln soll, aber dieser Meierssohn ist Schriftsteller, oder möchte es gerne sein. Und was wäre das für eine Geschichte, wenn die Wege sich hier schon trennen würden? Zufall und Schicksal werden über 400 Seiten gegeneinander ausgespielt.

Zum Autor

Daniel Mezger, geboren 1978, wuchs im Kanton Glarus auf, studierte an der Berner Hochschule für Musik und Theater Schauspiel. In Göttingen arbeitete er anschliessend am Jungen Theater und wirkte bei verschiedenen Produktionen am Fernsehen und auf der Theaterbühne als Schauspieler. 2006 bis 2009 studierte er am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel und schrieb und produzierte nebenher Theaterstücke. 2007 wurde er als Nachwuchsdramatiker des Jahres nominiert. 2012 erschien sein erster Roman Land spielen, der bereits vor seinem Erscheinen bei einer Lesung an den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt von Kritikern gelobt wurde. Alles ausser ich ist Daniel Mezgers zweiter Roman.

Die nächste Autofahrt kommt prompt und mit ihr die Hoffnung des Erzählers ohne Vornamen auf ein Wiedersehen mit der schönen Fremden. Die Sache mit dem Namen des Vaters ist wieder zu einer witzigen Anekdote geschrumpft, doch vielleicht liegt aber genau darin der Kitzel, der das Interesse des Erzählers an Ursina ausmacht. Denn plötzlich ist das Leben dieses gescheiterten Schauspielers und immer eifriger sich in seine Geschichte verstrickenden Schriftstellers sehr viel interessanter geworden.

Kurz vor der Ankunft in Dänemark macht die Erzählung einen Sprung – eine narrative Volte, die Mezger immer dann einsetzt, wenn es spannend wird. Diese Cliffhanger halten einen im Bann der Geschichte, aber sie arretieren die Geschichte auch an einem ganz spezifischen Punkt: Unterwegs, in einem Zustand des Dazwischen, der die unabgeschlossene Suche im Innern der Figuren spiegelt. Zu diesem Zeitpunkt zeichnet sich deutlich ab: Die Geschichte kommt einem irgendwie bekannt vor. Die allzu vertraute Du-Ansprache des Erzählers, der uns zur Komplizin machen will, das Kennenlernen der schönen Fremden, deren verschollener Vater sein Vater sein könnte. Die Frage der Wahrscheinlichkeit, des Zufalls und der Fügung. Es sind Referenzen auf Max Frischs Homo faber, subtil und raffiniert in den Text verwoben.

Das Thema der Identität verhandelt Daniel Mezger in Alles ausser ich in klugen und humorvollen Dialogen zwischen den Figuren, die jede für sich um ihre eigene Geschichte ringen. Er verhandelt es aber auch zwischen den Zeilen, z.B. mit dem Bild des fahrenden Autos, in dem man sich stetig durch Raum und Zeit bewegt, mal alleine, mal mit diesem, mal mit jener Mitfahrerin. Ein Ankommen gibt es nicht.

Daniel Mezger: Alles ausser Ich. 432 Seiten. Zürich: Salis Verlag 2019, ca. 30 Franken.

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