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Kunst und Gewerbe

Martin Suters neuer Roman Elefant wirft alte Fragen auf. Die Front zwischen E und U war allerdings auch schon mal verhärteter.
Er ist der kommerziell erfolgreichste Autor der Schweiz. Und war bislang einer der grossen Aussenseiter des hiesigen Literaturbetriebs. Martin Suter bleibt ein Phänomen: Der Erfolg seiner Bücher ist vorprogrammiert, aber dennoch wollte ihnen die Kritik bislang nur widerstrebend das Etikett «Schweizer», geschweige denn «Literatur» zugestehen. Stattdessen wurden seine Romane vom Feuilleton meist als literarisches Fastfood abgetan – erfolgreich, aber einförmig; mit einem gewissen Suchtpotential, aber viel zu leicht verdaulich.
Doch langsam scheint der Wind zu drehen: Suters neuester Roman Elefant wurde im Tagesanzeiger gleich zweifach und noch prominenter im deutschen SPIEGEL gewürdigt. Doch auch dieses Mal – so viel sei vorweg verraten – liefert der Autor nichts anderes, als was von der Marke Suter zu erwarten ist. Dafür wird es keinen Schweizer Buchpreis geben. Aber stattdessen eine (un)kritische Menge dankbarer Abnehmer. Von der Zahl der Online-Rezensionen, die Suters Elefant bereits in den wenigen Tagen seit Erscheinen geerntet hat, könnte jedenfalls die gesamte Short-List des diesjährigen Buchpreises nur träumen. Was selbstredend nur ein quantitatives Argument ist – wie also steht es um die Qualität?
Guilty Pleasure?
Die Kritik lobt ausführlich Suters handwerkliches Können – und spricht ihm damit gleichzeitig jede darüber hinausgehende Qualität ab. Der Grund für diese intellektuelle Diskreditierung wurzelt zu einem guten Teil in Suters Vorleben als erfolgreicher Werber, der den grössten Teil seines Lebens nicht in Literaturhäusern, sondern zwischen Kronenhalle und Plakatwänden verbracht hat. In einer Welt also, in der Geschriebenes in erster Linie kommerziell verwertbar sein muss.
So greift im Fall von Suter gerade von Seiten der professionellen Kritik offenbar ein Distinktionsverlangen, eine Angst vor massentauglicher Literatur, die einem die Gewöhnlichkeit des eigenen Geschmacks vor Augen führen könnte.
Wenn aber Stil und Geschmack den Menschen selbst ausmachen, bewegt man sich – mit Bourdieu gesagt – ungern ausserhalb seiner eigenen Geschmackskaste. So ist auch im Fall von Suter eine unvoreingenommene Kritik kaum möglich. Anything goes – aber bitte nicht so?!
Vorauseilender Gehorsam?
Suters Romane fügen sich geschmeidig in die Mechanismen des Literaturvertriebs ein. Das garantiert vor allem seine stilistische Konstanz. Es gibt zwar bessere und schlechtere Suter-Romane, aber die graduellen Unterschiede täuschen nicht über die auffällige Einheitlichkeit hinweg: Wo Suter draufsteht, ist auch Suter drin. Man kennt sein Zürich, man kennt seine Figuren, man kennt die Spannungsbögen und die plot twists. Martin Suter ist eine Marke. Und der Autor spielt in seinem Banker-Look ihren charmant-seriösen Verwalter.
Selbstverständlich stehen in Suters Texten die Stories im Zentrum. Was so möglich wäre in der Sprache, wird gnadenlos dem Plot untergeordnet. Dazu bietet er ein Arsenal von dramaturgischen Techniken auf, die jedes noch so intrikate Thema in einer glatten, gut geölten Geschichte aufgehen lassen. Im Falle seines neusten Romans Elefant ist dieses Thema die Gentechnologie. Beziehungsweise deren epic fails: Im Zentrum steht diesmal das Resultat eines missglückten Experiments: Ein kleiner, rosaroter Elefant, der im Dunkeln leuchtet. Süss? Nur bedingt, denn selbst ein solch wundersames Geschöpf kann bei Suter problemlos zum Ausgangspunkt eines spannenden Thrillers gemacht werden. Denn ob wissenschaftliche Sensation, heiliges Geschöpf oder Investitionsgut einer chinesischen High-Tech-Firma – der rosa Elefant ist bei Suter schwer umkämpft.
Erzählerischer Sog
Auf der einen Seite steht der Gentechniker Paul Roux, der sich mit der Züchtung des rosafarbenen Elefanten in den wissenschaftlichen Olymp katapultieren will. Er pflanzt die manipulierte Blastozyste einer Elefantenkuh in einem nahegelegenen Zirkus ein. Unter der Aufsicht des dubiosen Zirkusdirektors scheint der Plan zunächst aufzugehen. Doch kurz nach der Geburt wird das leuchtende Wunder vom burmesischen Elefantenpfleger Kaung entwendet. Dieser hält den Elefanten nämlich für ein Heiligtum und entlässt ihn mit Hilfe eines befreundeten Tierarztes in die Freiheit. So macht sich Roux zusammen mit einem chinesischen Geheimagenten auf die Jagd nach dem Tier – in der nicht ganz so exotischen Zürcher Innenstadt.
Auf der anderen Seite: Fritz Schoch, ehemaliger Investmentbanker und Obdachloser, in dessen Unterschlupf das leuchtende Elefäntchen eines Morgens auftaucht. Und die sozial engagierte Veterinärin Valerie Sommer, die Schoch in der leer stehenden Villa ihrer Eltern Unterschlupf zur gemeinsamen Elefanten-Aufzucht gewährt. Zusammen mit dem burmesischen Elefantenpfleger Kaung verstecken sie das Tier vor seinen Verfolgern. Zum Schluss gelingt dem Paar samt Kaung und dem Elefanten die Flucht. In einem Elefantenreservoir in Myanmar finden sie eine neue Lebensaufgabe und die grosse Liebe. Happy End.
Suter wechselt virtuos zwischen Genlabor, Zirkusmanege und Obdachlosentreff. Und er springt elegant zwischen verschiedenen Zeitebenen. Während die Thriller-Handlung unaufhaltsam vorwärtsdrängt, bleibt sogar noch Zeit für die Vorgeschichte des Elefanten. Das ist fraglos souveränes Kompositionshandwerk. Die verschiedenen Milieus sind sorgfältig recherchiert und die Handlung präzise konstruiert: Um den kleinen Elefanten herum breitet Suter ein Netz von Figuren aus, die er in genau arrangierten Konstellationen agieren lässt. Dabei wird die Unterteilung der Figuren in gut und böse selbstredend strengstens eingehalten – Ambivalenzen haben Suter-Leserinnen und Leser in ihrem Alltag wohl schon zu Genüge zu bewältigen. Also auch hier: Business as usual, richtig lesen mit Martin Suter.
Mehr als Unterhaltung?
Suter ist ein Meister der Suspense. Aber in der dadurch erzwungenen Fokussierung auf die Story liegt auch das Problem seiner Bücher. Die inhaltliche Dimension – im Falle von Elefant die Gentechnologie – dient einzig dem Vorankommen des Plots. Zwar sagen die Figuren die bekanntesten Gemeinplätze zum Thema auf, aber eine spannende Auseinandersetzung findet nicht statt. Und so ist es in allen seinen Büchern: Martin Suters Romane bieten keinen Widerstand, stellen keine Fragen und verunsichern den Leser kaum. Und das wollen sie auch gar nicht. Der Erfolg seiner Bücher liegt nämlich in der genauen Übereinstimmung zwischen ihrem Anspruch und dem, was sie leisten. Und diese Übereinstimmung provoziert die Literaturkritik jedes Mal aufs Neue: Denn seine Romane wollen nichts anderes sein als gut gemachte Unterhaltung. Und haben auch nie etwas anderes behauptet. Und so wird bis auf Weiteres jede Kritik an ihnen mehr über den Kritiker sagen als über den Autor Martin Suter, der sein neues Headquarter nicht ganz unpassend zu Füssen der FIFA im Zürcher Doldertal aufgeschlagen hat. Deren Slogan «For the game. For the world» im Falle Suters doch um einiges authentischer wirkt.
Martin Suter: Elefant. Diogenes 2017, ca. 32 Fr.