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Zürich. Vorher.

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Über die Auswirkungen des Schweizer Buchpreises auf die Online-Verkaufszahlen der Nominierten wurde auf dieser Seite schon ausführlich berichtet. Doch: Wie schnitten die Bücher vor Bekanntgabe der Shortlist ab? Eine Umfrage in den Zürcher Buchhandlungen zeigt Erstaunliches. Und die Daseinsberechtigung einer grosszügigen Kulturförderung.

Von Philipp Auchter
12. Oktober 2016

Es ist der 21. September, 9 Uhr morgens. Die Nomination für den Schweizer Buchpreis ist soeben bekannt gegeben worden. Ich sitze zu Hause beim Kaffee und frage mich, wie die Bücher wohl vor dem Eingriff der Wettbewerbsbehörden bei der Schweizer Bevölkerung angekommen sind. Eine leichte Melancholie überfällt mich. Ich sehe einen offenen Marktplatz, auf dem die Autorinnen und Autoren an ihren Ständen stehen und in rhetorischen Salven ihre Bücher anpreisen. Der Duft von Lederumschlägen und frisch getrockneter Tinte weht über den Platz an diesem strahlenden Herbstmorgen. Keine wettbewerbsverzerrenden Elemente, nur die Gunst der Volksseele, die unter schönen Hüten zwischen den Ständen wandelt, abwägt, entscheidet. Bunte Bänder wehen im Wind, da und dort staunt ein Kind. Seufzend stelle ich meine Kaffeetasse in den Schüttstein und begebe mich auf die Suche nach wirklichen Zahlen.

An diesem grauen Septembertag besuche ich zahlreiche Buchhandlungen der Stadt: die Buchhandlung am Helvetiaplatz, das Sec 52 an der Josephstrasse, Barth am Hauptbahnhof, Beer beim St. Peter oder die Buchhandlungen Bodmer und Orell Füssli am Bellevue. Einige betrete ich zum ersten Mal und bin erstaunt ob ihrer Schönheit. Nicht alle können mir brauchbare Verkaufszahlen nennen, doch alle geben freundlich Auskunft, manche lassen sich zu persönlichen Werturteilen hinreissen.

Auf der folgenden Graphik habe ich die absoluten Verkaufszahlen aus den genannten Zürcher Buchhandlungen zusammengetragen. Wenn man vom späten Eintritt von Christian Kracht absieht, dann sind die Zahlen durchaus aussagekräftig.

Kracht wird in der Statistik sicherlich noch aufholen und dürfte vielleicht sogar den erstplatzierten Zürcher Batthyany noch überholen. Dies legt zumindest die Verkaufsstatistik des Monats September aus der Buchhandlung Orell Füssli nahe.graphik-2

Was aber habe ich auf meinem Ausflug ausser Zahlen gelernt? Die beiden Buchhändlerinnen bei Bodmer vermissen Peter Stamm auf der Shortlist. Er hätte den Preis verdient. Der Buchhändler bei Beer würde gerne Steinbeck lesen, um zu sehen, weshalb das Buch diesen Skandal verursachte. Bei Barth hat da schon einer reingeschaut: nettes Sprachexperiment, müsse man aber nicht lesen. Die meisten Händlerinnen und Händler haben bisher Batthyany gelesen. Überhaupt wird er als Favorit gehandelt. Der reale Hintergrund seiner Familien-Nachforschung fasziniert. Dafür hätten im Orell Füssli verschiedene Buchhändlerinnen den Lewinsky wieder weggelegt: zu langweilig, munkelt man. Niemand weiss so recht, was von Kracht zu halten ist. Und vom Höhtker hat noch niemand etwas gehört. Ob sich das noch ändern wird?