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«Ich habe beim Schreiben viel gelacht.»Über einen Topos des Skandal-Schriftstellers

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Christian Kracht sagt es, im legendär gewordenen Interview bei Harald Schmidt. Da sitzt er und erstaunt das Publikum gerade damit, dass Verschmitztheit, ein eigentlich ausschliesslich in der Literatur vorkommender Ausdruck, der höchstens einem «Lächeln» oder einem «Gesichtsausdruck» zugeschrieben wird, hier in einen Anzug gekleidet auf die Bühne tritt. Verschmitzt antwortet er auf alle Fragen, einsilbig und schlagfertig, verschmitzt grinst und schweigt er und sagt bei der entscheidenden Stelle:

Von Cédric Weidmann
10. Oktober 2016

Christian Kracht sagt es, im legendär gewordenen Interview bei Harald Schmidt. Da sitzt er und erstaunt das Publikum gerade damit, dass Verschmitztheit, ein eigentlich ausschliesslich in der Literatur vorkommender Ausdruck, der höchstens einem «Lächeln» oder einem «Gesichtsausdruck» zugeschrieben wird, hier in einen Anzug gekleidet auf die Bühne tritt. Verschmitzt antwortet er auf alle Fragen, einsilbig und schlagfertig, verschmitzt grinst und schweigt er und sagt bei der entscheidenden Stelle:

«Ja, ich hab beim Schreiben immer sehr lachen müssen.»

Kracht erklärt sich damit, dass der Roman so kitschig sei, «so viel Kitsch könne man gar nicht in ein Buch hineinpressen.» Er findet sein 1979 «komisch». Was für ein Lachen müssen wir uns in Krachts Miene vorstellen? Liegt die Betonung auf dem «so viel», und es ist ein unschuldig erstauntes Lachen über die Möglichkeiten des Schreibens? Oder ist es ein moralisches Lachen, das die Betonung auf den «Kitsch» legt: So viel Kitsch könne man guten Gewissens – nach allen ästhetischen Regeln – nicht in ein Buch pressen?
Das war 2001. Gut möglich, dass hier ein ungewöhnlicher, literaturbetrieblicher Topos seinen Anfang nahm.

In einem Interview von 2009 sagt Daniel Kehlmann über den Hate-Blogger Mollwitz, der in seinem Episodenroman Ruhm das Internet aufmischt:

«das ist wahrscheinlich die lustigste Szene, ich habe beim Schreiben viel gelacht».

Kehlmann hat die Phrase übrigens zum signature move gemacht. 4 Jahre später über F: «Das hat mir viel Spaß gemacht, ich habe auch oft dabei gelacht» und in der SZ stellt ihm der Journalist sogar die nun scheinbar überflüssige Frage: «Lachen Sie beim Schreiben? – […] Bei einigen Szenen habe ich gelacht, das gebe ich zu.»

Eine Szene ist lustig, ein Buch ist komisch, weil die Autoren bei ihrer Niederschrift gelacht haben? Und bei den traurigen Szenen haben sie geweint und bei den spannenden Fingernägel gekaut? So leicht darf man sich von den Erklärungen der Autoren nicht täuschen lassen. Schliesslich scheint dieses Amusement geradezu einen systematischen Widerspruch zur Wahrnehmung der Leserinnen und Leser zu bilden.

Im düsteren Schweizer Buchjahr 2016 flattert die Phrase wieder durch das Feuilleton: «Ihr erstes Buch ist keine leichte Kost, ich empfand es als sonderbar und düster, vielleicht habe ich es nicht richtig verstanden», meint die Journalistin zur Skandalautorin Michelle Steinbeck in der Oktoberausgabe der SI Style.

«Ich finde die Geschichte eigentlich nicht düster, beim Schreiben habe ich viel gelacht.»

Möchte die wenn-sie-es-denn-ernst-gemeint-hat-ein-ernsthaftes-Problem-habende Steinbeck einen möglichen Eindruck von Ernsthaftigkeit zerstreuen? Es war eben alles nicht so gemeint? Aber wäre das nicht auch zu einfach?

Ähnlich erzählte Roman Graf an der Vernissage seines neuen Buches, das einen pädophilen Vergewaltiger zum Protagonisten hat, dass er sich beim Schreiben gewisser Szenen wenigstens «amüsiert» hätte.

Das alles erstaunt eigentlich wenig und dürfte ein gutes Zeichen sein. Mindestens die Schriftstellerinnen und Schriftsteller sollen ihre Schöpfung geniessen dürfen. Auf jeden Fall ist es bestes PR. Über Franz Kafka schreibt Max Brod, er habe seine Lesung der brutalen «Strafkolonie» vor Lachen unterbrechen müssen.

Dass Schreiben Spass macht, hoffen wir, aber dass es die Skandalbücher sind, die die Autorinnen und Autoren besonders zum Lachen bringen, erstaunt. Ein Lachen, weil es so lustig ist, wenn man es eintippt oder hinkritzelt – nehmen wir das ab? Mir ist das noch nie passiert. Ein Schmunzeln, das übers Gesicht huscht, vielleicht sogar ein Grinsen, warum nicht. Aber was beim Lesen rasch zum Lachen bringt, hat mich beim Schreiben noch nie grölen lassen. Womöglich fehlt mir auch nur das Zeug zum Skandalautor. Oder ist es doch ein entsetztes, gar verängstigtes Lachen, die Angst vor dem eigenen Erfolg?

Theweleits Essay Das Lachen der Täter stellt den Taten von Breivik, IS-Terroristen und Soldaten ihr Lachen an die Seite und zeigt, dass die Tötungslust, wie jede Lust, körperlich sei: «Wer lacht, empfindet nichts als eben die Wonne seines Gelächters. Über alles andere lacht er sich hinweg.» (Residenz 2015, S. 137) – Ein höherer Zweck, oder etwas, das dafür gehalten wird, bahnt sich seinen Weg als Lachen durch den Körper. Für Schreibtischtäter eine interessante Wendung: Vielleicht will nur der höhere Zweck – vielleicht will sogar nur der Körper, dass das Skandalbuch erscheint.

Im Grunde scheinen die Lacher mit ihren Aussagen alle das Gleiche zu wollen: bestreiten, dass sie skandalöse Literatur machen. Ob das vulgäre, grausame Lachen, auf das sie sich dazu in Interviews berufen, wirklich hilft? Skandale und Lachen sind nun sicher kein Gegensatz, auch wenn sie es uns glauben machen wollen. Dieser Topos will stutzig machen.

Die Schriftstellerinnen und Schriftsteller lachen sich derweil ins Fäustchen. Und wie verschmitzt immer!

Dieser Beitrag erscheint exklusiv vorab hier – und dann in der nächsten Ausgabe unseres Kooperationspartners delirium.