KW38
Zwei Liter Blut und uniformierte Schweine. Erste Reaktionen auf die Shortlist

Seit gestern ist sie raus, die Shortlist des Schweizer Buchpreis 2016. Fünf Namen und fünf Bücher zur Begründung. Wer ihn und damit 30’000 Franken und einen verkaufsfördernden Sticker auf dem Umschlag erhält, entscheidet sich am 13. November in Basel.
Seit gestern ist sie raus, die Shortlist des Schweizer Buchpreis 2016. Fünf Namen und fünf Bücher zur Begründung. Wer ihn und damit 30’000 Franken und einen verkaufsfördernden Sticker auf dem Umschlag erhält, entscheidet sich am 13. November in Basel.
Das Gewicht eines Preises entscheidet sich aber nicht nur an der Höhe des Preisgeldes, sondern auch und vor allem in der Berichterstattung über jenen Preis. Was und wieviel darüber geschrieben wird. Gerade bei einem Preis, der nicht zuletzt Aufmerksamkeit und Verkaufssteigerung – das verhehlen die Preisstifter, der Schweizerische Buchhändler- und Verlegerverband nicht – zum Ziel hat. Eine kurze Umschreibung der Presse-Mitteilung, wie es die meisten Medien auf die Schnelle handhabten, ist dabei schon hübsch, eine tiefgehendere Einschätzung wünschenswerter. Auch oder gerade, wenn die Meinungen dabei auseinandergehen. Denn Kritik, so wissen wir, bedeutet immer auch Anerkennung.
Mit Abstand am schnellsten reagierte die Aargauer Zeitung dieses Jahr auf die Nominationen. Nämlich bereits am 15. September, eine ganze Woche, bevor die Shortlist veröffentlicht wurde. «Umstrittene Autorin für Schweizer Buchpreis nominiert» betitelte das Blatt einen kurzen Artikel über die (seit gestern offiziell) nominierte Autorin Michelle Steinbeck und den Disput über ihren Erstling, den Elke Heidenreichs grobschlächtiger Verriss im Literaturclub ausgelöst hatte.
Auch anderswo rückte «Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch», so der Titel des vor phantastischen Bildern und Sprachbegeisterung überschäumenden Debüts, in den Fokus. Etwa auf Facebook, wo kurz nach Bekanntgabe der Nominierten der erste gehässige Kommentar folgte:
«Die neue Lust am Abgründigen» titelt die «Nordwestschweiz» (online noch nicht verfügbar) heute passenderweise und greift wiederum die Heidenreich-Polemik auf, aber nicht nur. Mit Sacha Batthyàny («verbindet souverän journalistische Recherche und literarischen Anspruch») kürt Anne-Sophie Scholl dabei ihren klaren Favoriten und attestiert der Jury am Ende gute Arbeit:
«In den sprachlichen Zugängen, den Inhalten, die das Böse und Abgründige ins Licht rücken, und in der Qualität – die Vorauswahl für den Schweizer Buchpreis überzeugt.»
Etwas anders sieht das die Basler Zeitung beziehungsweise Christine Richard (online ebenfalls nicht verfügbar). «Wie stark ein Schweizer Jahrgang ist, merkt man schon an der Tatsache, wer als Schweizer auf die Shortlist vom Deutschen Buchpreis kommt.» Dieses Jahr hat das niemand geschafft und dementsprechend angeödet zeigt sie sich von den Nominierten. Christoph Höhtker degradiert sie zur Houellebecq- und Kracht-Kopie. Frank Schulz hat genau diese beiden Autoren einst mit Höhtker verglichen, um diesen zu nobilitieren. Für die BaZ verwandelt sich Schulz dann anscheinend in einen «Literaturkritiker», der sich mit diesem Vergleich selbst aufwerten müsse. In jedem Fall ist die Hierarchie für Richard klar: Höhtker Kopie – Kracht das Original. Letzterer, Kracht, wiederum mache mit seinem Buch «Die Toten», was er immer mache, «krachtianische Kulissen-Literatur», während Charles Lewinskys «Andersen» vor allem eines sei: «Gute Unterhaltung.» Noch eine Prise Sarkasmus für die «voll verschärft experimentelle» Michelle Steinbeck und dann das Fazit (wieder voll verschärft):
«Vier der fünf Bücher drehen sich um Horror und Hitlerei. Gratulation.»
Nicht ganz so enttäuscht, aber auch nicht ganz zufrieden äussert sich Martin Ebel im Tages-Anzeiger zu den fünf Nominierten und vermisst unter ihnen vor allem die offensichtlichen, bekannten Favoriten (von Charles Lewinsky mal abgesehen). Vor allem, dass «Peter Stamms grossartiger Roman ‹Weit über das Land› durchfiel», stösst bei ihm auf Unverständnis. Gleichzeitig insistiert Ebel aber darauf, die Unabhängigkeit der Jury zu achten, die in seinen Augen eine «unerwartete, auch etwas originalitätssüchtige Auswahl mit einer grossen Spannweite» getroffen habe.
Und wer hat die besten Chancen? Mit Prognosen sind die meisten KommentatorInnen bis jetzt auffallend zurückhaltend. Für «völlig offen» deklariert Luzia Stettler bei SRF, das Rennen, zeigt sich indes aber wenig überrascht von der Auswahl. Einzig mit Christoph Höhtker habe die SRF-Literaturredaktorin (wie auch Christine Richard und Martin Ebel) nicht gerechnet. «Eine szenige, schräge Geschichte, die zuweilen geschmacklos, aber literarisch überzeugend sein soll», kommentiert sie, wobei das «soll» wahrscheinlich dem Umstand geschuldet ist, dass Höhtkers Roman «Alles sehen», obwohl bereits Ende 2015 erschienen, am Feuilleton bislang völlig vorbeigelaufen ist.
Ach ja: Um ihre Meinung über die diesjährige Shortlist dann noch einmal zu unterstreichen, verweist die BAZ am Ende ihres Artikels übrigens ebenfalls auf den weiter oben zitierten Facebook-Kommentar: «We are amused, an dieser Stelle den ersten Kommentar zitieren zu dürfen: ‹Dass der unsägliche Text von Michelle Steinbeck in diese Liste Eingang gefunden hat, ist peinlich.›» Dass die Kommentar-Schreiberin «Steinberger» anstatt «Steinbeck» wutgetippt hat, überliest beziehungsweise korrigiert die Zeitung dabei kulant. Derweil die Autorin selber den Social Media-Rant übrigens gelassen aufnahm. «Ganz Ihrer Meinung Frau Ammann, die Steinberger ist wirklich das Allerletzte!», schrieb Michelle Steinbeck drunter.