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Ein sprachliches Feuerwerk

Elsässer_Portrait

Dass Lisa Elässer ihr literarisches Schlaglicht mit besonderer Vorliebe in die Untiefen der menschlichen Existenz wirft, zeichnet sich im Querschnitt durch ihr Schaffen deutlich ab. Mit «Erstaugust» schliesst Elsässer nicht nur motivisch an ihr bisheriges Werk an, sondern gibt sich auch in diesem Erzählband als versierte Poetin zu erkennen, die mit originellen Sprachbildern und Wendungen zu überraschen weiss.

Von Selina Widmer
10. August 2019

Alphornblasende Herren, grosses Feuer und schräger Gesang – daran denken wohl einige Schweizer*innen und andere Erst-August-Kenner als erstes, wenn sie den Titel von Lisa Elsässers neuem Erzählband lesen. Glücklicherweise handeln ihre Geschichten nicht von diesen Dingen. Der Schweizer Nationalfeiertag ist nur von Bedeutung, weil in der ersten Erzählung ein Mädchen mit Heimweh sehnsüchtig auf diesen Tag wartet. In dieser kleinen, unscheinbaren Erzählung wird Grosses geschildert: Motive wie Sehnsucht, Fremde, Heimat und Enttäuschung kommen auf unspektakuläre Weise zur Entfaltung und gehen genau dank dieser Unverfälschtheit unter die Haut.

Genauso tun es die weiteren zehn Erzählungen in Erstaugust. Analog zu der Überschrift des Buches werden die Klischees, die nicht zuletzt die einzelnen Titel der Erzählungen abrufen, unterlaufen, um etwas Unerwartetes, Neues entstehen zu lassen. «Verwandlung» hat hier nicht viel mit Käfern zu tun und in «Tango» wird nicht getanzt. Auch die Sätze funktionieren oft nach diesem Überraschungsprinzip: «Schaue ich morgens in den Badezimmerspiegel, sehe ich nicht mich, sondern den alten Mann vom Haus gegenüber.» Nie kommt das, was kommen sollte. Und erst recht nie so, wie es sollte.

Die elf Geschichten erzählen von Beerdigung, von Betrug, von Liebe, die nicht sein kann, von Verfremdung und Vergehen, von einem Herbsttag, von Wanzen, von Geschwistern – vom «stinknormalen Leben» eben. Nüchtern und zugleich sehr liebevoll werden die Figuren gezeichnet. Sie sagen nicht viel, die Szenerien und Konstellationen zwischen ihnen übernehmen diese Aufgabe und bringen derart die Geschichten auf eine natürliche und ungezwungene Weise zur Entfaltung.

Zur Autorin

Lisa Elsässer, 1951 in Bürglen (UR) geboren, lebt heute am Walensee. Ausbildung zur Pflegefachfrau, später zur Buchhändlerin und Bibliothekarin. 2005 bis 2008 Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Zunächst publizierte Elsässer vorwiegend Lyrik. 2011 erschien mit dem Erzählband Die Finten der Liebe ihr Prosadebüt. Elsässer wurde mehrfach für ihr literarisches Schaffen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Lyrikpreis München (2010) und einem Stipendium der Landis & Gyr Stiftung (2015).

Zudem vermögen Elässers hoch poetische Sprachbilder, den Geschichten gekonnt und äusserst einfühlsam eine Plastizität zu verleihen. Schwierig zu sagen, welchen Ausdruck man stärker ins Herz schliessen sollte: den «flauschig stinkenden Teppich» oder den «Brunnen ihres Durstes». Der Sprache gelingt es, äussere und innere Eindrücke zu verdichten, was formal in der siebten Gedicht-Erzählung «WAS DAS LEBEN AM BESTEN KANN» eine vortreffliche Umsetzung findet. Das Gegenteil von Homöopathie wird hier verschrieben: Es wird konzentriert und verdichtet anstatt verdünnt, mit einschlagender Wirkung. Nur dann, wenn das Kind beim Namen genannt wird, hängt sich den Erzählungen hie und da ein pathetischer Beigeschmack an: «Ich habe die Schreibschule abgeschlossen, mit der Kindheit aber offenbar noch nicht.» Diese Schalheit wird aber gleich wieder durch die humorvolle Haltung der Erzählerinnen vertrieben. Der feine Humor ist es auch, der so manche düstere Geschichte geniessbar macht. «Aber die Neugier war eine Zahn-Beissbahn. Das Herz war ein Fahrrad mit dünnen Speichen.»

In Erstaugust findet Lisa Elsässer eine Stimme, die auf eine ehrliche und poetische Art vom Leben und Sterben erzählt. So macht sie manches Traurige hinnehmbar, manches Unsagbare sagbar und die Literatur zum Vehikel eines Versprechens auf Erlösung.

Lisa Eslässer: Erstaugust. 160 Seiten. Zürich: Rotpunktverlag 2019, ca. 26 Franken.