KW44
Entschieden vorsichtig

Zsuzsanna Gahse erkundet in Schon bald einmal mehr die Bedingungen und Möglichkeiten der Sprache.
Schon bald ist ein Prätext, ein Text, der die Bedingungen künstlerischen Schaffens untersucht und damit alles darf und alles kann. Zsuzsanna Gahse hat in ihrem jüngsten Projekt an ihrem Unternehmen der «instabilen Texte» festgehalten und ein Buch geschrieben, das sich leichtfüssig jedem erprobten Zugriff entzieht. Das ist kein neues Prinzip, und doch gewinnt es so eine Schwerelosigkeit, die entzückt, erstaunt und verwundert.
Man könnte sagen, es handle sich um Prosa, doch auch hier greift die Instabilität, Gattungen lösen sich auf. Schon bald verteilt sich auf fünf unterschiedlich lange Kapitel mit den Titeln Der Aufbruch, Die Dinge, Die Stücke, Die Stimme, Die Bühne. Anhand dieser Stationen vollzieht der Text eine Räumung, die Möglichkeit zur Entstehung einer Theateraufführung ist: Eine Wohnung wird geleert, ihr Inventar untersucht, verworfen, verschenkt: «Ob wir freiwillig ausziehen oder weil uns gekündigt wurde, bleibt offen.» Diese Logik des Ungrunds zieht sich durch den gesamten Text. Gahse stochert mit ihrer Sprache in die Ecken der Räume und weiss erst mit den Wörtern Bescheid. Die Wörter erklären die Dinge und Geschehnisse, die aus sich noch keine unbedingte Kausalität innehaben. Es braucht eine neue Sprache. Die Dinge sind nicht austauschbar. Die Tulpen in der Vase auf dem Wohnzimmerboden müssen «Bodentuplen» heissen. Die Stühle sind wichtig als Souvenir. Und die Bagatellen haben Bedeutung: Vier paar Schuhe, die dazu veranlassen zu schreiben: «Schön sind die Wörter Fußrücken, Fußpflege, Fußstapfen, Fußnote und auch Fussel und Beifuß.» Die sprachliche Logik hat einen klanglichen Grund, nicht ausschliesslich, aber oft.
Der sprachliche Zugriff auf die Wohnung, ihre Dinge und Möglichkeiten ist ein entschieden vorsichtiger – und er hat Witz, auch im ursprünglichen Sinne. Der Text fällt an keiner Stelle in die Fänge eines hermetischen Schleiers. Er weiss: «Absichtlich unverständlich zu sein, kommt einem Betrug gleich.» Und er protokolliert: «Ich bin erstaunt, dass der Satz, den ich geschrieben habe, immer noch dasteht. Ich bin erstaunt, also bin ich. Ich bin.» Das Staunen der Schreibenden ist existenziell. Und Staunen kann sie nur schreibend.
Vor allem im vorletzte Kapitel Die Stimme wendet sich der Text der Poetik zu. Was haben die «absolut kostbaren Kleinstwörter» wie «ach» und «ja» für Funktionen? Was passiert, wenn ich sie spreche? Die inzwischen leer geräumte Wohnung ist ein «Versuchsraum» geworden, hier wird geprobt. Ein Theaterstück soll es werden. Aber welche Stimmen mischen sich ein, welche Gesichter gibt es, welche Körper bewegen sich wie und was zeigen sie?
Was ausserhalb der vier Wände passiert, ist fast nicht zu sehen. Das Kammerspiel beschränkt sich auf seine Innereien und ist damit reich bedient. Nur manchmal ist ein Bus zu hören, sein Geräusch dringt in die Wohnung. «Kurz nachdem ich von dem eingebauten Selbstzünder der Sprache geträumt hatte (auf meiner Wolldecke), schaute ich vom Fenster aus zur Strasse hinaus und sah die jaulenden, schreienden Wörter, während mehrere Autos über sie hinwegrollten, es regnete, und die Sprachleichen wurden weggespült. Man sollte umgehend die Polizei rufen, dachte ich.»
Zsuzsanna Gahse hat keine Angst, weil es nichts zu verlieren gibt, sondern nur neu zu entdecken. Die Schreibende ist immer am Anfang, immer davor. Ihr Raum, ihre Dinge ist das Material, von dem sie ausgehen muss, um ein «Stück» zu machen. Was passieren wird, ist völlig offen. So protokolliert das Buch Schon bald eine Entstehung aus dem Leeren heraus. Wo ist der Anfang? Wo stelle ich mich hin, um einen Satz zu sagen, wie intoniere ich ihn, wie verändert er sich durch unterschiedliche Stimmen? Vielleicht kommt Gahses Schreib-Mut von der Altersgelassenheit einer Grande Dame der Literatur. Sich dem Vor-Text zu widmen bedeutet auch, dass das eigentliche Werk schon geschrieben ist. Doch poetologisch und fragend sind ihre Texte immer gewesen. Und auch dem ersten Satz ihres Debüts 1983 hört man seine Kühnheit deutlich an: «Es ist schön, das Schreiben.»
So gibt Zsuzsanna Gahse der Sprache einen Raum, in dem noch alles möglich ist, in dem sie alles darf. Sie richtet ihn ein, indem sie ihn räumt, sie macht Platz für ein Unternehmen, das niemals fertig werden kann, weil es mit jeder Aufführung neue Wendungen gibt. Der Zuschauerraum ist mit diesem Buch wiedereröffnet – wer ihn betritt und sich einlässt, gewinnt die Sprache und ihre Dinge von Grund her neu.
Zsuzsanna Gahse: Schon bald. 144 Seiten. Wien: edition korrespondenzen 2019, ca. 29 Franken.