KW07
«Es ist natürlich viel einfacher, über scheiternde Liebe zu schreiben».

In Hinter diesen blauen Bergen verhandelt Milena Moser ihren Abschied von Europa, die Ankunft in ihrer neuen Wahlheimat Santa Fe und den Beginn eines neuen Lebens im Ungewissen. Anlässlich der Buchpremiere im Zürcher Kaufleuten am vergangenen Donnerstag sprach das «Schweizer Buchjahr» mit der Autorin über die Schwierigkeiten, sich selbst zu schreiben.
Frau Moser, kommen wir gleich zur Sache: Ihr neues Buch beginnt mit der Schilderung eines Ritts durch die Prärie von New Mexico – und das ist doch sprechend. Der Text soll ja einen Raum durchqueren, von Europa nach Amerika führen: Aber kommt er an? Oder bleibt er in der Prärie, im wilden Dazwischen?
Es ist noch kein Ankommen. Für mich ist es ein Buch, das mehr Fragen stellt, als dass es Fragen beantwortet. Es ist ja kein Roman, sondern eben ein autobiographisches Buch, was für mich etwas komplett anderes ist. Ich habe auch deswegen immer ein wenig das Gefühl, das Buch sei auch ein Betrug.
Inwiefern ein Betrug?
Wenn ich einen Roman schreibe, dann habe ich keine Ahnung, was passiert. Ich stolpere in etwas rein. Es tut sich eine Welt auf und ich muss sie nur beschreiben. Eine andere Welt, deren Sinn sich beim Schreiben ergibt. Das Autobiographische aber, das ist etwas schwieriger. So wie ich Zähne putze, so schreibe ich meine Notizen zum Alltag auf und versuche irgendwie einen roten Faden darin zu finden. Das tue ich, seit ich schreiben kann. Aber interessiert das jemanden? Schon beim letzten Buch (Das Glück sieht immer anders aus, 2015), dessen Fortsetzung Hinter diesen blauen Bergen ja ist, hatte ich deswegen riesige Diskussionen mit meinem Verleger.
Schreibt sich ein solches Buch anders als ein Roman?
Ja, das ist eine ganz andere Art von Schreiben. Man fängt an mit dem Wissen: Okay, es gibt eine logische Fortsetzung des letzten Buches – ich wandere aus, ich gehe weg. Das zu protokollieren wird dann zum täglichen Halt in allem, was passiert. Das Szenario muss man nicht erfinden, es ist ja schon da. Es gibt keine Überraschungen. Der Kick oder die Herausforderung ist dann: Was kommt aus diesem Wust von täglichen Eindrücken dann zwischen die Buchdeckel? Was gehört rein, was nicht?
Wenn wir jetzt schon an diesem Punkt sind: Ein zur Zeit vieldiskutierter Begriff ist die «Tellability», also die Einrichtung des Lebens nach seiner Erzählbarkeit. Kann sich denn, wenn man autobiographisch schreibt, das Verhältnis von Leben und Schreiben umkehren? Lebt man nicht auch mit dem Bewusstsein der literarischen Verwertbarkeit?
Es gab mal einen schönen Satz: not everything is write-aboutable. Aber für mich ist das kein Problem. Ich schreibe grundsätzlich alles auf. Wenn man mir den Bleistift wegnehmen würde, dann würde ich mit dem Augenbrauenstift schreiben. Das literarische Protokoll des Lebens, das lässt sich nicht mit der Verwandlung der Wirklichkeit in den sozialen Medien vergleichen, also: man geht in ein Restaurant geht, macht ein Foto und das ganze Leben wird ein Posting. Es ist eher umgekehrt, dass ich mich komplett unverankert fühle, wenn ich nicht schreibe. Wenn ich etwas nicht aufschreibe, dann ist es nicht so, als wenn es nicht passiert wäre, aber ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht, was geschieht. Schreibe ich es auf, dann sehe ich. Das ist für mich wie ein «Hebi». Etwas, das ich brauche, wie andere – ich weiss auch nicht.
Sie haben ja gesagt, dass Schreiben Orientierung verschaffe. Nun geht es in Ihrem Buch ja auch ganz konkret darum, dass der Raum, in dem Sie neu leben, erst einmal strukturiert werden muss: Jäten, Aufräumen – das Gerüst herausarbeiten, indem Überfluss abgeschafft wird. Für Literaturwissenschafter gibt es dabei einen Moment mit grossem Deutungspotenzial: Beim Herrichten der Casita kommt auf einmal eine Luke zum Vorschein, die vermuten lässt, dass das Haus noch einen Estrich hat. Die Erzählerin scheut davor zurück, der Sache auf den Grund zu gehen. Waren Sie mittlerweile eimal auf dem Estrich?
Nein, ich wüsste gar nicht, wie man da hoch kommt. Vielleicht von aussen, mit einer Leiter. Aber nein, ich habe mich nie getraut. Aber klar: Man richtet das Haus ein und schafft eine Ordnung. Und dann merkt man, es gibt da noch etwas Anderes. Neben dieser Identität, die man im Griff hat, gibt es da diesen Hohlraum, den man nicht begeht – den Ort des Unbewussten.
Eine grosse Rolle in diesem Text spielt auch die Neuentdeckung der eigenen Identität, also die Frage, was es heisst, «Schweizerin» zu sein.
Ja, natürlich. Wenn ich in der Schweiz bin, dann fühle ich mich immer kosmopolitisch. Wenn ich aber in Amerika bin, dann wird mir meine Schweizer Prägung doch sehr deutlich. So habe ich zum Beispiel, auch wenn mir das peinlich ist, nach amerikanischen Standards einen Putzwahn; ich kann mich mit meiner Schweizer Freundin in Santa Fe tatsächlich über Putzmittel unterhalten. Gleiches gilt für andere Klischees, etwa Pünktlichkeit: Wenn ich mich mit jemandem um sieben verabrede und die Person taucht um halb acht auf, dann frage ich mich schon, ob etwas passiert sei. Das klingt jetzt etwas lapidar, aber für mich ist das schon eine nicht unwichtige Beobachtung. Früher, speziell in meinen Kolumnen, habe ich mich ja immer sehr fest an diesen Normen gerieben, an der Vorstellung, wie eine Frau meiner Generation in der Schweiz zu funktionieren habe – und das ich eben nicht so sei und mein Schreiben von dorther motiviert sei. Und in Amerika merke ich nun: Ich lebe diese Vorstellungen schon, gegen die ich mich einst erfolgreich gewehrt zu haben glaubte.
Macht das Label «Schweizer Literatur» in diesem Zusammenhang für Sie Sinn? Würden Sie von sich behaupten, Vertreterin von Schweizer Literatur zu sein oder nicht?
Ich stolpere noch immer über das Wort Literatur, weil das ja eine ewige Debatte ist. Ist das überhaupt Literatur, was die Frau Moser da macht, oder nicht? Also ich habe mich nie als Vertreterin von irgendetwas gesehen. Ich bin ja nicht den klassischen Weg gegangen – habe meine ersten drei Bücher im Eigenverlag rausgebracht.
Wir haben einen weiten Literaturbegriff.
Ok, von daher würde ich sagen, ja klar, ich bin eine Schweizerin, die schreibt, folglich ja, da gehöre ich dazu. Wenn ich in eine Buchhandlung gehe, wünsche ich mir eigentlich immer, dass man mich bei der «Schweizer Literatur» zu stehen. Und nicht bei «Freche Frauen» oder ähnlichem Bullshit.
Über das Label können wir gerne sprechen: Frauenliteratur.
Ist das etwas? Beschäftigt das heute noch?
Das wollte ich Sie gerade fragen – gibt es Frauenliteratur?
Für mich gibt es das nicht. Für mich gibt es das absolut nicht. Es gibt Literatur und es gibt Menschen die schreiben. Mir ist überhaupt nicht klar, warum da Grenzen gezogen werden. Ich bin in diese Schublade ja auch unfreiwillig reingerutscht. Nachdem die ersten drei Bücher im Eigenverlag rausgekommen sind, hat Rowohlt die Rechte an diesen ersten drei Büchern aufgekauft – für die Reihe «rororo Neue Frau». Dort erschienen in den 1970er/80er Jahren vor allem Übersetzungen von amerikanischer Frauenliteratur, das war kein schlechtes Programm. Ich fand dort Aufnahme mit meinen Mordsgeschichten und bekam den Stempel der «männermordenden Feministin». Richtig verstanden habe ich das nie, mich hat es immer gestört, in dieser Ecke zu sein. Die Reihe wurde dann auch aufgelöst.
«Frauenliteratur» – das hat ja doch auch noch etwas mit Identitätskonzepten zu tun, die Frauen unterstellt werden.
In den 70er Jahren wurde das Label ja so verstanden: Das ist Literatur von Frauen, die nur über sich schreiben, über ihren Vater, ihr Liebesleben etc. Und alle heissen Anna. Und dann kamen diese Chick-Lit-Sachen. Der Betrieb ist bis heute ja nicht frei von diesen Klischees. Wegen der Covergestaltung habe ich regelmässig Streit mit dem Verlag. Mein Verlag macht ja wirklich immer schöne Bücher. Schöne Cover. Aber nicht für mich. Der erste Vorschlag ist immer ein Martini-Glas oder das Bild eines Schuhs mit hohem Absatz. Die hören einfach Moser und denken an solche Cover-Gestaltungen. Wobei Schuhe für mich ja schon auch ein wichtiges Thema sind.
In der Tat: Es gibt diesen einen Moment im Buch, in dem die Schuhe dann viel verraten: ein Stiefelkauf. Der scheint uns deswegen von so grosser Bedeutung für diesen Text zu sein, weil das der einzige Moment ist, in dem explizit vom Eros die Rede ist – in einem Buch, in dem es ja auch und vor allem um Liebe geht. Bedingt das Schreiben über Liebe die Abwesenheit des Eros?
Es ist natürlich viel einfacher, über scheiternde Liebe zu schreiben, über unglückliche Liebe. Über glückliche Liebe zu schreiben ist viel schwieriger. Das letzte Buch erzählte von meiner Trennung – da besteht immer die Gefahr, dass das Erzählen einer neuen Partnerschaft als eine Antwort auf alles gelesen wird. Und das ist sie natürlich nicht.
Aber diese Distanz in der Liebe – die hier ja ganz programmatisch über ein Skype-Gespräch sich offenbart –, die besitzt ja auch ihre eigene Logik. Im Text heisst es, das Wagnis bestünde darin, «zu lieben, ohne sich aufzulösen». Nicht geschrieben kann und soll also das Aufgehen im Anderen. Muss dieses Ich, vielleicht gerade, weil es keinen «festen Stand» mehr hat, deswegen Liebe auch anders konzipieren?
Im Nachhinein: wahrscheinlich wäre das für mich überhaupt nicht anders möglich gewesen. Die Erzählerin des letzten Buches – drei Jahre her, gerade ins Englische übersetzt – war völlig traumatisiert. Das Buch entstand folglich aus einer Abkehr von der Liebe und einer Bewegung hin zum Schreiben. Und die Rückkehr der Liebe, die kam aus der Ahnung, was Liebe noch sein könnte und dass ich dachte: das will ich auch noch. Aber es brauchte eben die Distanz, denn bei zuviel Nähe wäre ich davongelaufen wie eine viktorianische Jungfrau.
Stellt sich das Schreiben nicht auch zwischen einen selbst und den anderen?
Nein, im Gegenteil. Bis ich mit Mitte 20 meine ersten Bücher veröffentlicht habe, hatte ich noch das Gefühl, dass mich etwas von den anderen trennte. Und trennen musste: Aus überlebenstechnischen Gründen musste ich die anderen beobachten, wie sie ihr Leben führten – und das aufschreiben. Das erste Mal, das ich das Gefühl hatte, ich bin nicht allein, war der Zeitpunkt, als ich zum ersten Mal eine Geschichte veröffentlicht habe. Das Gefühl, dass meine Realität eine vollkommen andere ist als die meiner Umgebung, verschwand in dem Moment. Das Schreiben verbindet mich mit der Welt.
Ist die Beschäftigung mit Literatur dann für Sie ein therapeutischer Akt?
Das ist natürlich ein abwertendes Wort, aber ich habe das sogar schon von einem Therapeuten bestätigt bekommen.
Das gilt ja auch fürs Lesen. Im Buch geschieht es nicht nur einmal, dass die Erzählerin ihre Welt durch Texte erklärt, die sie einmal gelesen hat – durch Kafka z.B. Vor allem aber greift das Buch bemerkenswert explizit auf ganz bestimmte Schweizer Prätexte zurück, nämlich die Romane Federica de Cescos. Bisweilen stellt sich sogar der Verdacht ein, dass das Buch durch eine intensive Federica de Cesco-Lektüre programmiert sei.
Tatsächlich wollte ich den «Roten Seidenschal» unbedingt noch einmal lesen, da der ja – wie meine Schweizer Freundin mir beteuert hat – in Santa Fe spiele. Ich habe ihn aber nicht mehr gefunden. Um aber auf die Frage zurückzukommen: Ich habe schon gemerkt, dass meine Vorstellungen von den amerikanischen Ureinwohnern stark durch die Klischees vom «Noble Savage» geprägt waren, die eben unter anderem aus den Büchern von Federica de Cesco herkommen. Als ich einmal mit einem Indianer konfrontiert wurde, der sich ganz und gar nicht «noble» verhielt, war ich schockiert. In Santa Fe gibt es viele Schweizer Frauen wie mich, alleinstehende Frauen im mittleren Alter – die sich dann in einen Indianer verlieben. Insofern bin ich auch ein Klischee. Ich glaube schon, dass die Lebensentwürfe von Europäerinnen in Santa Fe viel mit den Fantasien zu tun haben, die man bei Federica de Cesco oder natürlich auch Karl May findet.
Der Schluss des Buches hat ja so einen «Ratgeber»-Touch: «Ruh Dich einfach ein Weilchen aus, und alles wird gut.»
Nein, kein Ratgeber – die Verantwortung will ich gar nicht haben. Aber es geht tatsächlich um das Ausruhen, um das Nichtstun. Ich empfinde es – gerade auch unter Frauen – momentan als sehr anstrengend, dieses unentwegte Sich-Verbessern-Wollen. Da sitzt man da auf Podiumsdiskussionen mit Annie Leibovitz und lauter Frauen, die wahnsinnig erfolgreich und wahnsinnig tolle Kinder haben und denkt, «kann man nicht einfach mal nichts machen»?
Wobei der Text ja eigentlich eine extrem aktive Person zeigt…
… die das Haus renoviert und unfreiwillig zur Notärztin wird, ja.
Reden wir über Literatur und Publikum. Es gibt in Buch diesen Kurs «How to write a bestseller in two days»…
… den ich besucht habe, weil ich wissen wollte, wie man das macht.
Aber wie präsent ist so ein Bestsellerpublikum beim Schreiben?
Die Frage, was das Publikum will, habe ich mir eigentlich noch nie gestellt. Bei meinem früheren Verlag musste ich immer gegen die Marketingabteilung kämpfen, die ganz klare Vorstellungen davon hatte, was bei einem breiten Publikum funktioniert und was nicht. Allerdings gibt es natürlich auch Dinge, die ich dem Publikum bewusst vorenthalte.
Weil?
Weil ich das Gefühl habe, diese Geschichten gehören nicht mir, sondern zum Beispiel meinen Söhnen. Alte Familiengeschichten. Oder Sex… Ich schreibe schon über diese Dinge, aber das ist nicht für die Öffentlichkeit. Wenn es dann darum geht, einen Text herauszugeben, dann fange ich mit dem Streichen an. Aber Sachen reinschreiben, die nicht reingehören – das würde ich nicht. Aber wenn Literatur einmal ein breites Publikum erreicht, kommen solche Fragen, wie man mit dem eigenen Werk umgeht, immer wieder.
Wo zum Beispiel?
Naja, Die Putzfraueninsel wurde ja verfilmt, und da gibt es ja etwa den Vater, der merkt, dass er eigentlich schwul ist und dann mit diesem jungen Tänzer abhaut. Und im Film haben sie das eben nicht zeigen wollen. Erst sollte er statt dem Tänzer einen Töff bekommen, aber am Ende schaut er dann mit so einem riesigen phallischen Gerät in die Sterne und ich habe mir nur gedacht, «warum habt ihr dem nicht den jungen Mann gelassen»? Wer sagt denn, dass das Publikum so etwas nicht versteht? Aber es gibt da solche ungeschriebenen Regeln, zumindest gab es sie. Dementsprechend konnte die Putzfraueninsel ja auch nur im Eigenverlag erscheinen, weil das kein anderer Verlag genommen hätte. Und auch heute nicht nehmen würde.
In welchem Verhältnis stehen eigentlich das Buch, das ja diesen autobiographischen Bias hat, und das von Ihnen betriebene Blog? Kann man das komplementär lesen? Nach welchen Kriterien entscheidet sich, was ins Buch kommt und was in den Blog?
Das Blog ist ursprünglich im Rahmen meiner Creative Writing-Kurse entstanden, so dass die Kursteilnehmer «live» dabei zusehen konnten, wie ein Buch entsteht. Also: meine Lebenswelt, die Lebenswelt einer Schriftstellerin wird darin sichtbar und die Leute sehen: die kocht auch nur mit Wasser. Eigentlich war ich dann auch schon einmal fertig damit. Ich glaube, die zukünftige Funktion des Blogs wird nicht zuletzt sein, die politische Entwicklung in den USA zu verfolgen – und die Art und Weise, wie sie in den Alltag hineinspielt.
Es gibt da auch noch einen interessanten Chiasmus von Fiktion und Autobiographie. Im Buch heisst es an einer Stelle: Die Romanfiguren, mit denen man arbeitet, die müsste man nicht recherchieren, man müsste nicht googlen, was die fühlen, man lebt ja mit ihnen. Umgekehrt durchziehen diesen Text Aufrufe von Personen, sie zu googlen.
Ja, die fingierten Personen erlebt man unvermittelt, die realen aber verweigern sich manchmal, wie der Zeitungsverkäufer, der nicht mit mir reden wollte, sondern sagte, ich solle ihn googeln. Ich glaube aber, wenn man literarische Figuren zu sehr recherchiert, dann wird das mechanistisch. Ich kann natürlich drei 29jährige Putzfrauen mir im Netz zusammensuchen und daraus eine Figur bauen, aber der Anspruch, es dann «richtig» zu machen, ist ein ganz falscher. Es gibt ja keine «richtige» Art, jemanden zu beschreiben. Mein Vater [Paul Pörtner] hat das ja damals experimentell in seinem Hörspiel Was sagen Sie zu Erwin Mauss? Einkreisung eines dicken Mannes (1968) widerlegt; der hat damals 20 Leute gefragt, die sollen ihn beschreiben, auch in seiner Vita – und da kam dann ein Bild raus, das gar nichts mit seiner Selbstwahrnehmung zu tun hatte und doch waren das alles echte Erfahrungen, für die Befragten war das er. Der Anspruch an literarische Figuren, sie sollten «wahr» im Sinne von «überprüfbar» sein – ich verstehe das nicht. Eine Figur kann der einzige Mensch auf der Welt sein, der bestimmte Dinge in einer bestimmten Weise tut – und gerade darin völlig glaubwürdig sein. Eine Figur im Querschnitt zu konstruieren bringt hingegen gar nichts, wenn Du die Figur nicht spürst, denken siehst etc. Das kann man nicht mit Google lösen. In der Realität kann man sehr viel mit Google lösen. Aber auch sehr viel kaputtmachen. Dementsprechend kommen in meinem nächsten Roman, an dem ich gerade sitze, ganz andere Typen vor als in Hinter den blauen Bergen.
Das Gespräch führten Alexandra Looser und Philipp Theisohn.
Milena Moser: Hinter diesen blauen Bergen. 256 Seiten. München: Nagel & Kimche 2017.