KW45

«Ich fürchte, es wird sich nichts ändern»

Julian Schütt

Der Schweizer Buchpreis 2018 geht an Peter Stamm - und damit stellt sich auch die Frage, inwiefern die Absehbarkeit dieses Ausgangs strukturelle Probleme des Schweizer Literaturbetriebs im Allgemeinen, des Buchpreises im Speziellen offenbart. Das «Buchjahr» hat sich darüber mit Julian Schütt, einem der profiliertesten Literaturkritiker der Schweiz, ausgetauscht.

Von Redaktion Buchjahr
8. November 2018

Julian Schütt, der Schweizer Buchpreis 2018 geht an Peter Stamm und seinen Roman «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt». Vielleicht einmal vorab: Was für ein Buch hat da gewonnen?

Es hat das Buch eines Autors gewonnen, den man schlicht nicht mehr übergehen konnte, ohne dass es sowohl für den Autor als auch die Buchpreis-Verantwortlichen peinlich geworden wäre. Stamm hat das selber in einem Interview mit Schweizer Radio SRF 2 bestätigt. Bekanntlich hat man ihn schon zweimal übergangen. Eine dritte Abfuhr wäre für alle Beteiligten eine zu viel gewesen. Von diesem äußeren Sachverhalt abgesehen, hat ein Buch gewonnen, das vertraute literarische Themen und Motive behandelt: das Doppelgänger-Spiel mit Identitäten und Spiegeln, die Frage nach Schicksal und Zufall, der Umgang mit Erinnerungen oder das Problem, wie man durch eigene und fremde Bilder geprägt wird. Diese klassischen und vielleicht sogar belasteten Themen und Fragen packt Peter Stamm mit seiner sparsamen, lakonischen Sprache in eine atmosphärisch dichte Geschichte. Stamm braucht nicht viel, um uns da hineinzuziehen.

Wurde hier eher ein Roman oder eher ein Autor mit Blick auf seine Vorleistungen ausgezeichnet?

Es hat meiner Meinung nach nicht das beste Buch gewonnen. Es hat auch nicht das beste Buch von Peter Stamm gewonnen. Gewonnen hat Stamm, weil er zurzeit einer der renommiertesten Deutschschweizer Gegenwartsautor ist (in mehr als 30 Sprachen übersetzt, einmal schon nominiert für den Man Booker International Prize, der ziemlich bald nach dem Nobelpreis kommt). Da ist es an der Zeit gewesen, dass er auch in der Schweiz mal einen großen Literaturpreis erhält. Nicht dass es ihm so ergangen wäre wie Max Frisch, der erst in der Bundesrepublik Deutschland hohe Auszeichnungen erhalten musste, ehe auch die Landsleute wohl oder über hinterherhinkten.

Lässt sich das überhaupt vermeiden, dass bei einem Buchpreis immer auch die Autorin oder der Autor, nicht nur ein Buch ausgezeichnet wird?

Nein, das lässt sich nicht vermeiden, und ich würde noch weitergehen und mit dem Soziologen Pierre Bourdieu sagen, dass sich bei jedem Literaturpreis immer auch die Jury selber auszeichnen bzw. profilieren will. Profilieren wollte sie sich mit einer Shortlist, die auf nur ja nicht zu komplexe Romane von jüngeren AutorInnen setzte. Auf der Strecke blieb da vor allem ein Autor: Thomas Hürlimann. Er ist der grosse Übergangene. Und anders als bei Stamm scheint die Jury ausgerechnet bei Hürlimann streng werkimmanent geurteilt zu haben. Sie liess die Umstände ausser acht, wie dieses Werk entstanden ist. Thomas Hürlimann hat es seiner schweren Krankheit abgerungen. In diesem Herbst konnte der Roman «Heimkehr» dann endlich erscheinen. Ein herausforderndes, philosophisch wie literarisch gewichtiges, nicht leicht zu verschlingendes Werk. Aber die Jury hat Thomas Hürlimann, ohne Zweifel den Autor dieses Herbstes, frostig übergangen.

Nicht nur das Buchjahr, auch andere LiteraturkritikerInnen waren davon ausgegangen, dass der Gewinner bereits mit der Shortlist festgestanden hatte – und dürften sich jetzt bestätigt fühlen. Wie beurteilen Sie das Verhältnis der Shortlist zum späteren Sieger?

Das war in diesem Jahr sicher extrem, wie man die Shortlist auf Peter Stamm ausgerichtet hat. Die viel weniger bekannten übrigen Nominierten müssen sich im Nachhinein wie AlibikandidatInnen vorkommen. Und da kann der Jurysprecher Manfred Papst noch so beteuern, wie hart man um eine Entscheidung gerungen habe. Das ganze Prozedere mit der Shortlist schafft eben Sachzwänge, aus denen die Buchpreis-Jury kaum herauskommt: Sie wollte Stamm nicht ein drittes Mal brüskieren und riskieren, dass man ihn so bald nicht mehr auf die Shortlist setzen kann.

Ein Thema, das den Buchpreis schon lange begleitet, ist der Geschlechterbias. Von elf GewinnerInnen sind gerade mal drei Frauen, sowohl dieses Jahr wie auch im Vorjahr konnte man den Eindruck gewinnen, dass Autorinnen gerne als Debütantinnen dazugeholt werden, dass es aber aussergewöhnlicher Konstellationen bedarf, dass sie auch gewinnen. Teilst Du den Eindruck?

Dieser Eindruck drängt sich auf, ja, und die Jury wird abermals sagen, sie berücksichtige und würdige nur die Bücher, nicht die Leute, die sie verfassen und schon gar nicht deren Geschlecht. Aber so einfach ist es eben nicht. Christina Viragh hat mit «Eine dieser Nächte» einen der kühnsten Romane dieses Jahres geschrieben und wurde für den deutschen Buchpreis nominiert. Beim Schweizer Buchpreis hatte man kein Gehör für sie und überging sie wie Hürlimann. Auch ihr Roman ist eben komplex und anspielungsreich. Nach drei männlichen Siegern ist nun allerdings davon auszugehen, dass die Jury sich im kommenden Jahr aufgrund der Erwartungshaltungen und Automatismen hüten wird, erneut einen Mann zu ehren. Da kann ein Schweizer Autor ein noch so gewaltiges Meisterwerk der Weltliteratur schaffen. Den nächsten Schweizer Buchpreis – davon ist auszugehen – wird trotzdem eine Frau erhalten.

Mit Heinz Helle ist nun der nächste Peter Stamm geboren; auch ihn wird man nun kaum mehr ein drittes Mal nominieren können, ohne ihn schlussendlich mit dem Preis zu bedenken. Womöglich muss man weniger über Namen als über Strukturen sprechen. Kann man nicht sagen, dass der Schweizer Buchpreis umstellt ist von diesen Automatismen und Erwartungshaltungen, die auf Dauer dann eben einfach die Veranstaltung berechenbar werden lassen? Dazu gehört z.B. auch das Problem, dass irgendwann alle Renommierten den Preis einmal bekommen haben.

Das strukturelle Problem ist offensichtlich. Nur Veranstalter und Jury wollen partout weiter glauben, der Schweizer Buchpreis sei frei von literaturfremden Sachzwängen, Abhängigkeiten, Automatismen. Zu befürchten ist ein Imageverlust. Schon jetzt zweifeln Autorinnen und Autoren, ob wirklich alles getan wird, um auf eine möglichst unabhängige Vergabepraxis hinzuwirken. Ich fürchte, es wird sich nichts ändern, bis tatsächlich alle halbwegs Renommierten im Land den Preis erhalten haben, die sich aber immer weniger über die Auszeichnung freuen werden. Peter Stamm drückte jedenfalls seine Freude schon sehr zurückhaltend aus.

Was bildet der Buchpreis eigentlich ab? Inwiefern müsste der Preis nicht eher «Preis des Deutschschweizer Buchhandels» heissen?

Das wäre zweifellos ehrlicher, aber da sind wir alle wohl zu professionell korrumpiert: Auch in der Literatur lassen wir uns doch lieber mit schönen Worten täuschen, als dass wir allzu prosaischen Klartext hören wollen.

Im Anschluss an die letztjährige Preisverleihung kam es ja zu einer Konfrontation von AutorInnen und VeranstalterInnen, als deren Resultat vorerst eine Änderung des Reglements stand, die unter anderem beinhaltete, dass Jurymitglieder sich vor der Preisverleihung nicht mehr öffentlich zu Shortlisttiteln sollen. Du bist selbst Literaturkritiker: Ist das eine praktikable Lösung?

In dieser Hinsicht bin ich wohl etwas prüde und habe bis jetzt immer abgelehnt, in Literatur-Jurys mitzuwirken. Ich würde mich als Kulturjournalist zu eingeengt fühlen. In der Regel ist unser Gewerbe aber ziemlich inzestuös. Ich habe mich auch gewundert, wie einzelne JurorInnen schon im Vorfeld ihre Kandidaten in ihrem jeweiligen Medium hochgeschrieben haben oder dann die eigene Shortlist präsentierten. Um eine wirkliche, nicht nur eine eingebildete Unabhängigkeit zu erreichen, sollten die Veranstalter nur noch freischaffende oder ausländische KritikerInnen, AutorInnen und LiteraturwissenschaftlerInnen in die Jury des Schweizer Buchpreises holen.

Das Interview wurde per Mail geführt.

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