KW50
Pseudonym mit Abitur
Wenn Altes auf Neues trifft, dann gibt es Ärger: Im Zentrum von Eric Nils Roman «Abifeier» steht das Phänomen der Patchworkfamilie.
Eigentlich sollte die anstehende Abiturfeier von Nora, der Tochter des Ich-Erzählers, und Tobias, dem Sohn von dessen neuer Lebensgefährtin Johanna, ein festlich heiterer Anlass werden. Doch leider kommt es im Laufe des Abends auch zwingend zu einer Kollision der beiden zerbrochenen Familien der beiden. Schlussendlich muss der Protagonist mit seiner Exfrau Bea an einem Tisch sitzen – und mit seinem Sohn Alex, der seit der Scheidung nichts mehr von ihm wissen will. Seine neue Frau Johanna tanzt währenddessen am anderen Ende des Saals mit ihrem Exmann Rolf Walzer. Da ist es verständlich, dass der Erzähler Angst vor dem Kontrollverlust bekommt.
Entwicklungslosigkeit
Die Ausgangslage von Nils Roman ist klassisch für ein Beziehungsdrama und wäre wohl auch bestens für eine neue Hollywood-Beziehungskomödie geeignet. Denn, wie man weiss: Wenn ehemalige und neue Liebespartner*innen aufeinandertreffen, dann ist der Konflikt vorprogrammiert. Tatsächlich überrascht in Nils Plot dann aber recht wenig. Die Schilderungen der kleineren Krisen des Ich-Erzählers aus Angst vor der bevorstehenden Feier vermischen sich mit sentimentalen Reflexionen über die Vergangenheit. Sehnsüchtig wird davon erzählt, wie es war, als die Liebe noch frisch und die Familie noch intakt war. Nichts davon ist besonders unerwartet oder interessant. Tatsächlich fragt man sich bei der Lektüre irgendwann, wieso sich der Protagonist überhaupt erst scheiden liess, so deutlich werden seine Zweifel und Unzufriedenheit über die vorherrschende Familiensituation. Das Figurenensemble verfügt durchaus über Potenzial zur Psychologisierung. Doch statt den Protagonisten bei irgendeinem Reifeprozess oder dem alternativen, endgültigen Abstieg in den psychischen Abgrund, kurzum: ihn bei irgendeiner anderen Art der Entwicklung zu beobachten, bewegt sich Nils Protagonist stets nur in den gleichen langen Bahnen. Der vorprogrammierte Familienkrach ist so schlussendlich kein wirkliches Scharmützel, sondern vielmehr ein resigniertes Aufatmen, dass der Anlass endlich über die Bühne geht.
Zum Nachdenken zwingt hier allenfalls noch die Pseudonymität des Eric Nil, laut Klappentext ein «bekannter Romanautor», der sich «mit schwierigen Familienkonstellationen auskennt». Weniger irritiert der Reiz, die Identität des Getarnten lüften zu wollen als vielmehr die nachdrückliche Ankopplung dieses Textes an Biographie, in deren Licht er dann als Bewältigungsprodukt, als Therapie erscheinen kann, zumindest nicht als die schlichte Komödie, die er dem ersten Leseeindruck nach zu sein scheint. Das Scheitern dieses Unternehmens fällt somit keiner persönlich verbürgten Autorschaft zu; ob das Pathos des Pseudonyms angesichts des Resultats wirklich angebracht ist, darf gleichwohl bezweifelt werden.
Eric Nil: Abifeier. 160 Seiten. Berlin: Galiani 2020, ca. 24 Franken.