KW29
«Putin würde der Text gefallen.»

Nora Zukker hat sich beim Boxen verletzt. Schmerzmittel im Kopf, Füsse auf dem Sofa, Bachmannpreis im Fernsehen. Unter den Schweizer Autorinnen und Autorinnen hatte sie es damit am vorletzten Wochenende nicht am schlimmsten erwischt. Neben ordentlich Prügel gab es für die Schweizer Fraktion beim Wettlesen am Wörthersee am Ende aber auch einen Preis.
Um wen geht es nochmal in Klagenfurt? Um den Autor und seinen Text? Oder um den Kritiker und sein Ego in der Jury? Nachdem die AutorInnen vorgelesen haben, diskutiert die sechsköpfige Jury. Man spricht über den Autor in der dritten Person, auch wenn der direkt gegenüber sitzt. Ab und zu sieht man auf der Leinwand neben der Jury das Gesicht des Autors, mal mit gefalteter Stirn, mal mit roten Flecken am Hals, mal mit rollenden Augen.
Im Studio ist es heiss, dennoch ist es letztlich wie beim Eiskunstlaufen: Man goutiert Finesse hofft auf Dramen. Soviel Persönlichkeit gibt es beim Bachmannlesen zu bewältigen, da wäre Potential zum Eklat. Aber es fliesst keine Träne, es steht keiner auf. Affekte schüren nur einige halbzahme Provokationen innerhalb der Jury, die nichts mit den Autoren oder gar deren Texten zu tun haben. In den sozialen Netzwerken diskutiert dafür die Community über den Rucksack von Klaus Kastberger. Stefanie Sargnagel fragt auf Twitter, was für Tiere die Jurymitglieder seien: «Sandra Kegel ist 1 Hase» oder «Stefan Gmünder ist wie schon erwähnt 1 hotter Adler».
Und immer wieder wird vom «Klagenfurtformat» geredet. Ist es ein Text, der nach Klagenfurt gehört? Ja, nein? Winkels meint zu Urs Mannharts Text: «Das modernste an diesem Text ist, dass er in Klagenfurt landete». Was denn jetzt aber einen Text zu einem Klagenfurt-Text macht, wird mir nicht erklärt. Oder doch? Mein Klagenfurt-Satz 2017 lautet jedenfalls: «Wäre der Text anders als er ist, könnte…» Zeit für die nächste Aspirin, Zeit für die erste Lesung.
Text-Bild-Schere? Daniel Goetsch
Er muss als erster Schweizer lesen. In seinem schwarzen Hemd und mit den fast schwarzen, dichten Haaren, sieht der fast 50jährige gut aus. Seiner angenehm rauchig und beinah akzentfreien Stimme höre ich gerne zu. Von den drei Lesenden aus der Schweiz liest Daniel Goetsch mit Abstand am überzeugendsten. Nicht überzeugt ist aber die Jury von seinem Text. Der Ausschnitt sei unglücklich gewählt, liesse sich nicht adäquat beurteilen, sei wohl nur ein Teil von vielen Teilen. «Man kann dem Text nicht vorwerfen, dass er keine Birne ist, wenn er ein Apfel ist», so Klaus Kastberger. Schwach, zu konventionell erzählt, durchschaubar – so die anderen in der Jury. Da passiert aber auch nicht viel mehr. Hildegard Keller, die Daniel Goetsch eingeladen hat, wirft nochmal in den Ring, dass es um das Versagen auf mehreren Ebenen gehe. Und dann fällt noch das tolle Wort «Identitätsauslagerung», das werde ich sofort in meinen aktiven Wortschatz aufnehmen.
Ein Preis wird das nicht. Und aus der Niederlage lernen? Als Autorin wüsste nach dieser Diskussion nicht wirklich, was ich jetzt mit meinem Roman machen sollte. Dass jeder, der hier nicht gelobt wird, zwangsläufig denken muss, er hätte versagt, ist nachvollziehbar. Aber wenn ausgerechnet das Versagen Thema des Romans ist, dann ist das eigentlich heilend ironisch.
Falling man, rising star? Gianna Molinari
Als einzige Schweizer Frau liest sie als zweite. Und ist eine der Jüngeren dieses Jahrgangs, hat als Gewinnerin des MDR-Literaturwettbewerbs 2012 allerdings schon Wettkampferfahrung. Klar, fast protokollierend trägt sie ihren Text vor. Keine Versprecher, nur einmal klatscht das Publikum zu früh, als sie ein einziges Mal das Tempo verlangsamt, den Satz fast auffallend betont, aber eben es war noch nicht der Schlusssatz. Leider gibt es für mich weder in der dokumentarisch angelegten Geschichte noch im Vortrag irgendetwas, wo ich hängen bleibe, das ist mir alles zu clean und ohne Soul. Da kann man aber auch gar nichts aussetzen, was mich doch etwas ratlos zurück lässt. Was heisst das jetzt für den Text? Die Jury ist gespalten. Inwiefern das Literatur sei, fragt man sich. Sehr journalistisch sei der Text, was löblich sei, was geradezu auffallend sei. Vielleicht ist die Lesung auch derart perfekt kühl geblieben, weil der Text es verlangt? Gut, es fiel ein Mann vom Himmel (im Text!), aber auch das löst bei mir nicht viel aus. Schade. Klaus Kastberger meint «Ich finde den Text am stärksten, wo er nicht er selbst ist.» Ja was, will man dazu sagen, was macht man als Autorin damit? Alle sind bestenfalls verhalten. Und ich ärgere mich, weil ich als Autorin mit meinem eigenen Text anders auftreten würde, liebevoller, hingegebener. Am Ende erhält Gianna Molinari dennoch einen der Nebenpreise. Leichte Verwirrung, als ihre Mentorin Hildegard Keller zur Laudatio antritt, zwei Minuten zuvor aber noch für ihre Konkurrentin votiert hat. Herzlichen Glückwunsch, anyway!
Karma Police? Urs Mannhart
Als dritter und letzter Schweizer, aber auch als letzter Teilnehmer dieses Jahrgangs liest der auch als Reporter bekannte Mannhart. Nur 22 Minuten, die anderen Teilnehmer haben fast alle die ihnen zustehenden 30 Minuten ausgeschöpft. Da macht die ermattete Jury gleich mit und begnügt sich mit einer Viertelstunde. Giftig wird es nochmal, erzählen wir also erstmal was Schönes. Urs Mannhart ist nämlich ein begnadeter Tänzer. Nach vier Stunden Frontallesungen in der Therme Leukerbad vergangene Woche gab es eine Aftershowparty im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals. Mehrheitlich standen die Autoren verhalten an der Bar, nippten Bier oder kippten Schnaps und schauten auf die leere Tanzfläche. Nora Gomringer machte den Anfang, zog die Schuhe aus und tanzte. Und dann kam Urs Mannhart und alle erstarrten. Ein göttlicher Tänzer, der wohl mehr Tanzstile beherrscht, als der DJ Songs auf seiner Leukerbad-Playliste hatte. Das erzähle ich nur, weil es vielleicht zu verstehen hilft, warum Mannhart ob der eher ungelenken Kritikerrunde nur ein sanftes Lächeln anflog. Dass wir es mit einem gelassenen Menschen zu tun haben, zeigte aber auch das das Autorenvideo. Unter dem Titel «Schriftsteller und Knecht im 1. Lehrjahr» finden wir uns zwischen Kühen und Kindern auf dem Bauernhof wieder. Zur Kuh Karma sagt er: «Komm, nicht schon den Anschluss verpassen am morgen früh!» und der unprätentiöse Schriftsteller spricht in knappen Sätzen über sich und seine Literatur.
Für mich ist Mannharts Lesung überzeugend. Sein rollendes R nicht zu aufdringlich, er weiss, was er liest. Da ist eine Kraft in der Stimme, die genau dann zum Vorschein kommt, wenn es die Geschichte verlangt. Deren Frauenbild der Jury aber offenbar nicht behagt. Da hilft auch der Hinweis auf Rollenprosa und dokumentarischen Anspruch nicht aus der Klemme. Klaus Kastberger nutzt die Diskussion zu einem Frontalangriff auf Michael Wiederstein (dem Neuzugang in der Jury und Nachfolger von Juri Steiner). Wiederstein hat Mannhart eingeladen und muss sich anhören, dass Kastberger jetzt wisse, wie Texte aussehen müssen, die Wiederstein gefallen: «Die Tiere müssen gesund sein und die Frauen ihren Männern gehorchen». Kurz holt er Luft, der Kastberger, und meint, dieser Text würde Putin gefallen. Mannhart grinst in sich hinein und kann das Spektakel wohl nicht mehr ernst nehmen. Bei Maike Fessmann fällt der Ton aus, aber ich habe eh genug von Prügeln und Preisen und verzichte, Kuh Karma sei Dank, mal wieder ein paar Tage auf Fleisch. Was ja auch nicht schlecht zum diesjährigen Sieger passt. Der nennt sich Schmalz. Ferdinand Schmalz. Und hatte einen richtig guten Titel. Schauen Sie selbst.