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Schweigen ist Tod

Petra Ivanovs erfolgreiches Ermittlerduo Palushi und Meyer ist zurück. Bereits zum vierten Mal gehen die Ex-Polizistin und der Strafverteidiger in Zürich auf Verbrecherjagd. Auf der Suche nach einer entführten Frau geraten sie dieses Mal in einen Wettlauf mit der Zeit und in Konflikt mit Medien, Islamisten und geltenden Gesetzen.
Pal Palushi, Zürcher Rechtsanwalt kosovarischer Abstammung, muss die Strafverteidigung von Mustafa Saifullah übernehmen. Der wegen Entführung angeklagte Saifullah schweigt jedoch eisern. Also nimmt Palushi selbst die die Suche nach der entführten Lara Blum auf. Das bleibt seiner Freundin Jasmin Meyer nicht verborgen: Die Ex-Polizistin beginnt nun ebenfalls, die junge Frau zu suchen. Pal sind dabei als Strafverteidiger eigentlich die Hände gebunden, dennoch umgeht er das Gesetz zum Wohl der jungen Frau wiederholt.
Wie im unterhaltsamen Krimisegment üblich, kommen auch bei Palushi und Meyer die persönlichen Konflikte nicht zu kurz: Jasmin, die bereits in Ivanovs Krimireihe Flint und Cavalli einen Gastauftritt hatte und dort selbst Entführungsopfer wurde, kämpft mit wiederkehrenden Erinnerungen. Pal bemerkt, dass sein Neffe in ein gefährliches Netzwerk radikaler Muslime geraten ist. Gleichzeitig gerät Pal in den Fokus der Öffentlichkeit und kämpft gegen rassistisch motivierte Behauptungen, er stecke mit Saifullah unter einer Decke.
Den vierten Fall für Palushi und Meyer versteht man problemlos, ohne die drei vorherigen gelesen zu haben. Verwunderlich ist es nicht, dass das Ermittler-Duo einen weiteren Auftrag erhält. Die Figuren sind so detailliert ausgearbeitet, dass man sie als Lesende*r unbedingt verfolgen möchte. Spannung erzeugt die erfahrende Krimiautorin auf mehreren Ebenen. Kompositorisch, indem sie vereinzelt Kapitel einschiebt, in denen aus der Perspektive einzelner Figuren erzählt wird. Das grosse Ganze können die Leser*innen so erst zum Schluss erkennen. So gelingt es Ivanov beispielsweise, ein Netzwerk radikalisierter Muslime mit der Geschichte einer scheinbar unschuldigen Schweizer Familie zu verbinden. Mit der Thematik radikalisierter Muslime eröffnet sie ein heikles Spannungsfeld und bindet Vorurteile, mit denen Muslime täglich konfrontiert werden, stark in die Handlung ein. Pal gerät durch seine Strafverteidigung von Mustafa Saifullah in eine regelrechte mediale Hetzjagd. Andererseits schildert Ivanov anhand der Figur von Pals Neffen, wie gefährlich solche Netzwerke gerade für Jugendliche sein können und wie sie ihre Anhänger rekrutieren. Ivanov arbeitet mit einer hochaktuellen Thematik, der Fall könnte sich tatsächlich im Haus nebenan abspielen. Auch dies erzeugt Spannung, bleibt aber letztlich im gewohnten Fernsehkrimiterrain.
Ivanov hat jedoch erneut hervorragende Recherchearbeit geleistet. In der Vergangenheit nahm sie, ursprünglich für ihren Jugendroman Escape, ein Jahr lang Arabischunterricht und versuchte «albanische Jugendliche kennen zu lernen und in ihre Welt einzutauchen». Sie kennt sich auf diesem Gebiet aus und lässt ihre Kenntnisse in die Sprache ihrer Figuren einfliessen. So schafft Ivanov einen Krimi, der gleichzeitig unterhalten und lehren kann. Das dargestellte Szenario erweist sich als Spiegel der Gesellschaft und lässt Lesende Mediennutzung, Urteilsbildung und herrschende Vorurteile hinterfragen. Insofern ist es eben doch nicht «nur noch so ein Krimi».
Petra Ivanov: Entführung. 384 Seiten. Zürich: Unionsverlag 2019, ca. 35 Franken.