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Und was hat das mit Tieren zu tun?

Während die Menschen in Sacha Batthyánys «Und was hat das mit mir zu tun?» sterben, hadern, suchen, finden, verschweigen oder beim Psychoanalytiker um Worte ringen, tummeln sich dazwischen allerhand Tiere. Und die haben wir uns genau angesehen. Eine Geschichte in Tieren – und Zahlen.
Sacha Batthyány lässt in seinem Erstling auf knapp 250 Seiten die stolze Anzahl von 91 Tieren auftreten, die sich in folgende Kategorien unterteilen lassen:
Mit Abstand am häufigsten genannt werden Paar- und Unpaarhufer, also Pferde, Hirsche oder gemeines Vieh. Im Mittelfeld bewegen sich Hunde und Katzen, Hasen und Nager, Vögel sowie die Reptilien (inkl. Dinosaurier), Elefanten, Fische und andere Meeresbewohner nahe beieinander. Weit abgeschlagen: die Insekten und der eine Wurm, der eigentlich keiner ist.
Die eingangs erwähnten Besuche beim Psychoanalytiker legen es nahe, Batthyánys Tieren auf den Spuren des spirit animalism zu folgen. Sehen wir uns also zunächst die Tiere an, die dafür eher nicht in Frage kommen: die toten.
Am stärksten dezimiert werden jene Tiere, die verzehrt oder einfach von Tante Margit gejagt werden und ihr dabei so viel Freude bereiten («Nie sah ich sie glücklicher.») Herausheben möchten wir den treuen Hund, der 1946 tot neben seinem aus dem Leben getretenen Herrchen, Karl Muhr, Hauptzeuge im Prozess um das Massaker an den 180 Juden, im Wald zu liegen kommt. Nach Hause hätte er auch bei Überleben nicht gekonnt, stand sein Haus doch längst in Flammen. Wieder andere mussten ihr Leben für die Verschönerung von guten Stuben oder Handtaschen lassen, vor allem Pferdekadaver liegen verstörend oft auf der Strasse, So erinnert sich der Vater des Erzählers an seine Flucht: «Ich bin in Budapest und sehe tote Pferde auf der Strasse.»
Tiere und Tierteile können jedoch auch recht dekorativ auftreten – freilich ist das Schöne auch hier nicht selten des Schrecklichen Anfang.
Wenn die Tiere nicht zu Krokoledertaschen oder Trophäen verarbeitet werden, huldigt man ihnen ikonographisch und druckt sie auf Seidenfoulards (Tante Margits), schnitzt sie auf Glasuntersetzer aus Mahagoni (dito) – in beiden Fällen: Pferde – oder sticht sich das vermeintliche Krafttier mit Tinte unter die Haut (Karpfen). In den Erinnerungen an Tante Margit assoziieren Verwandte wie Bekannte fast mit der Schlossherrin immerzu Pferde, aber das lässt wohl eher auf eine ständische als eine spirituelle Zugehörigkeit schliessen.
Forcieren wir das Ganze ein wenig und nehmen die Tiere ins Visier, auf deren Rücken etwas dargelegt wird – nein, meist nicht das Glück -, die also herangezogen werden, um ein charakteristisches Bild zu kreieren:
Ein rundes Fünftel der Tiernennungen dient dem Vergleich eines Dinges oder eines Menschen mit Tieren. Die angeklebten Clips auf den Fingernägeln der ungarisch-zürcherischen Prostituierten «fegen» über die Mobiltelefone wie Ratten, die übers Linoleum laufen. Unter den belebten Vergleichen führt vor allen die Gleichsetzung von Grossmutter Marittas Familie und den europäischen Maulwürfen und deren Lebenserwartung von sieben Jahren, die Grossmutter Maritta wieder und wieder in ihr Tagebuch notiert. Kein Bild, aus dem man Kraft schöpft, einziger Ausweg: man legt den Maulwurf ab. Seine Eltern vergleicht der Autor mit Walen, die sich zur Geburt in ruhige Gewässer zurückziehen (in diesem Fall: Zürich). In seiner Tante Margit, die ihre Zunge in Sprechpausen hervorblitzen lässt, sieht er eine Eidechse. Diese wirft der ungarischen Aristokratie in einem vom Autor imaginierten Gespräch zwischen seiner Grossmutter und Tante Margit vor, vor Schwäche einzuknicken wie Lämmer, wenn es mal schwieriger wird. Adolf Hitler soll sich 1944 mit der Frage «Wisst ihr, was ich bin?» am Budapester Judenrat vorgestellt haben, und die Antwort gleich mitgeliefert haben: «ein Bluthund».
Seine eigene Kauzigkeit sieht der Autor zwar nicht ausschliesslich im zehnjährigen Gulag-Aufenthalt seines Grossvaters begründet, aber ganz sicher ist er sich nicht.
Wählt man sein spirit animal? Wählt es uns? Sehen wir uns die Tiere in Batthyánys Buch an, die an Scheidewegen, jenen in das und aus dem Leben, auftauchen:
Und wer sind die treusten Begleiter des Menschen: die Hunde. Nicht genug, dass sie auch im chinesischen Tierkreis für Treue stehen, nein, sie sind wahre Verkünder des Kommenden. Die Hunde auf dem Esterhazy’schen Hof jaulen zu Marittas Geburt. Die Pferde ziehen die Kanonen in den Hof, um die Geburt zu verkünden, und die Kuh, deren Milch allein sie trinken wird, ist bereits ausgesucht. Jahre später erscheinen die Hunde Maritta auch aufs Äusserste gereizt, kurz bevor sie Zeugin wird, wie das Ehepaar Mandl erschossen wird. In der offiziellen Version haben sie sich mit Rattengift selbst getötet. Zur letzten Reise ziehen die Ochsen Goga, die Zofe, aus dem Hof, die Raben und der Drache (geistreich gemäss chinesischem Horoskop zu sprechen) begleiten die verbrannten Überreste des Tagebuchs Grossmutter Marittas zu ihrer letzten Ruhe.
So viel closure ist wohl nur mit Tieren zu haben. Darum: Gehen Sie, schliessen Sie Kontakt mit einem Leben mit Tieren.