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Vom Verschwinden der Frauen

Buti

Roland Butis vierter Roman «Das Leben ist ein wilder Garten» seziert minutiös das männliche Scheitern.

Von Sabine Cassani
4. Januar 2021

Der Landschaftsgärtner Carlo Weiss wurde von seiner Frau verlassen. Nun ist auch noch seine demente Mutter aus dem Altersheim verschwunden. Bleiben noch die Tochter und Carlos alter Freund Agon. Doch auch diese drohen zu verschwinden: Die Tochter studiert in London, Agon wird nach einem Überfall noch länger im Krankenhaus bleiben müssen.

Mütter im Hotel

Roland Butis vierter Roman, im französischen Original 2019 unter dem Titel «Grand National» erschienen, erzählt die Geschichte eines Einzelgängers, der seine Verluste meist zu spät registriert. Dabei spielt das Luxushotel Grand National, das dem französischen Originaltext den Namen gab, eine entscheidende Rolle. In dieses noble Hotel hoch über Montreux nämlich ist Carlos Mutter geflohen. Als Jugendliche hatte sie einst das Brot der väterlichen Bäckerei dorthin geliefert und war im Zweiten Weltkrieg eine Liaison mit einem geflüchteten Deutschen eingegangen. Carlo stückelt diese frühe Episode aus dem Leben seiner Mutter aus den Erinnerungsfetzen des Hoteldirektors und des Dorflehrers zusammen. Derart gefiltert bleibt sie für den Sohn und auch die Leserin jedoch erstaunlich emotionslos. Auch das Thema der individuellen und der historischen Erinnerung wird nicht eigentlich vertieft.

Zur Person

Roland Buti, geboren 1964 in Lausanne, promovierte 1996 mit einer Arbeit über die «Ligue vaudoise» und arbeitet heute als Geschichtslehrer. Sein Roman Das Flirren am Horizont war nominiert für den «Prix Médicis pour le meilleur roman» und wurde mit dem Schweizer Literaturpreis 2014 ausgezeichnet.Foto: © Sébastien Agnetti

Viel präsenter sind in Roland Butis Roman die abwesenden Frauen: Da ist zunächst einmal die fehlende Grossmutter, die bei der Geburt von Carlos Mutter starb. Diese wiederum verschwindet im Roman gleich doppelt; aus dem Altersheim und in die Demenz. Auch Carlos Exfrau hinterlässt eine sichtbare Lücke in der ehemals gemeinsamen Wohnung und plant neuerdings sogar, aus beruflichen Gründen nach Kambodscha zu ziehen. Schliesslich droht auch die Tochter zu verflüchtigen, denn sie lebt weit weg und hat neben einem Freund auch ein feministisches Kunstprojekt, das der Vater nicht versteht.

Carlo fühlt sich zunehmend als «Waise». Die ähnlich klingenden Namen der Frauenfiguren (Pia, Ana, Mina) unterstreichen das kaum bemerkte Verschwinden der Frauen aus dem Leben von Carlo Weiss als Zentrum dieses Romans. Der letzte Satz beschreibt passend dazu den Tod der Mutter: «Und sie hatte sich durch die Seitentür hinausgeschlichen.»

Der Schrebergarten, die illusionäre Natur

Es ist möglich, diese Geschichte als eine weitere Erzählung über «Männer-Krisen» zu lesen, wie sie auch Lukas Bärfuss und Peter Stamm wiederholt vorgelegt haben. Man könnte Butis Roman etwa als die Darstellung der Überwindung einer männlichen Midlife-Crisis verstehen. Eine Krise mit vielen Frauen-Verlusten, in der Carlo aber den männlichen Freud Agon und vor allem den Garten als Rückzugsort behält. Die symbolische Sprache evoziert eine reiche, opulente Natur, die hier eindeutig den Männern zugeordnet wird. Sie sind die Gärtner, die Schrebergartenbesitzer, die Gemüse ernten und kochen und die Vogelexperten. Fast könnte man denken, dass die Natur die Wunden der Abwesenheit der Frauen heilt, wie auch Carlos Schnittwunde, die er sich ganz am Anfang zugefügt hatte, am Schluss verheilt ist.

Aber eben nur fast, denn die Natur ist bloss Illusion: Carlos domestiziert die Gärten seiner wohlhabenden Kundinnen und Kunden. Und Agons Schrebergarten muss gar per Helikopter versetzt werden, um einem grossen Fussballstadion Platz zu machen. Die Natur bietet keine Lösung der Krise der männlichen Hauptfigur, vielmehr übertüncht sie nur die Leere, welche die Frauen hinterlassen haben – wie die Hanfbonbons, die der Freund Agon grosszügig verteilt. Die gezähmte Natur der Schrebergärten ist vielleicht ein Fluchtort, aber kein Neuanfang: «Es braucht die Existenz solcher Blasen, damit der Kapitalismus gut funktionieren kann, meinte Agon.» Umso bedauerlicher, dass diese Pointe von dem etwas unglücklich gewählten deutschen Titel «Das Leben ist ein wilder Garten» verfehlt wird, zumal die flüssige Übersetzung von Marlies Russ sonst zu überzeugen vermag.

So steht am Ende eine Männerfreundschaft auf tönernen Füssen. Auf der Beerdigung seiner Mutter muss Carlo sich und seinem Freund Agon eingestehen, dass er sich «nie die Frage gestellt hat, ob Mama ein glückliches Leben hatte.» Die Frauen in seinem Leben waren einfach da – bis sie plötzlich alle verschwanden. Es ist die Stärke dieser Erzählung von Roland Buti, der 2014 den Schweizer Literaturpreis für Das Flirren am Horizont erhalten hat und seither auch in der Deutschschweiz wahrgenommen wird, dass er dieses männliche Scheitern nicht beschönigt.

Roland Buti: Das Leben ist ein wilder Garten. 176 Seiten. Wien: Zsolnay 2020, ca. 30 Franken.

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